Am 04. November jährte sich die T4-Krankenmordaktion zum 85. Mal. 1940 fand der erste Transport psychiatrischer Patientinnen und Patienten von der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll statt. Das Ziel: die NS-Tötungsanstalt Hartheim bei Linz. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung in der Krankenhauskirche St. Vitus erinnerten über 130 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft an die 641 Menschen, die zwischen 1940 und 1941 nach Hartheim deportiert und ermordet wurden. In seinem Grußwort betonte Bezirkstagspräsident Franz Löffler die Macht der Sprache: „Worte haben Gewicht. Sie können Verständnis schaffen – oder verschließen. Sie können würdigen – oder entwürdigen. Gerade deshalb ist es unsere Pflicht, die richtigen Worte zu finden – am heutigen Tag ganz besonders.“
Wenn Worte zur Tat werden
Der Bezirkstagspräsident erinnerte daran, dass der millionenfache Mord an psychisch kranken und behinderten Menschen mit Worten begann: „Die Grundlage für dieses Menschheitsverbrechen war ein einziges Schriftstück – Hitlers Anordnung vom Oktober 1939. Worte eingesetzt als Waffe. Ein paar Sätze – und hunderttausende Leben wurden ausgelöscht.“ Löffler zeichnete die Entwicklung nach, die den nationalsozialistischen Krankenmorden vorausging: Bereits 1933 bildete das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ die Grundlage für Ausgrenzung und Entrechtung, die später in die Aktion T4 mündete. Benannt nach der Berliner Tiergartenstraße 4, der Zentrale der Krankenmorde. Die Folgen: Zwangssterilisation, Misshandlung und systematische Ermordung von hunderttausenden Menschen.
Zugleich erinnerte Franz Löffler an Stimmen des Widerstands, darunter an den Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, der 1941 in einer mutigen Predigt die Morde öffentlich anprangerte. „Worte können verschleiern und lügen – aber sie können auch aufklären und Haltung zeigen.“ Hetze und Diskriminierung dürften nie wieder Raum greifen. Erinnerung bleibe Auftrag und Verantwortung – „für Politik, Gesellschaft und für jede und jeden Einzelnen.“ Und noch ein Wunsch gab Löffler in die Runde: „Dass wir im richtigen Moment mutig das Wort ergreifen und einstehen für Menschlichkeit und Würde.“
Glaube, Gedenken, Generationen
Nach dem Bezirkstagspräsidenten sprachen die Vertreterinnen und Vertreter der Glaubensgemeinschaften: Ilse Danziger, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Regensburg, Regionalbischof Klaus Stiegler (Evangelisch-Lutherische Kirche) und Domkapitular Michael Dreßel (Katholische Kirche). In ihren Worten erinnerten sie an die Würde der Opfer und die bleibende Verpflichtung, Mitmenschlichkeit zu bewahren. Den anschließenden Fachvortrag „Euthanasie - verschwiegener Massenmord und Erinnerungskonjunkturen“ hielt Professor Dr. Jörg Skriebeleit, Direktor Zentrum Erinnerungskultur der Universität Regensburg und Leiter der KZ Gedenkstätte Flossenbürg. Musikalisch untermalt wurde die Gedenkveranstaltung vom Lebenshilfechor.
Im Spiegel der Gegenwart
Die gemeinsame Kranzniederlegung fand im Kirchhof der Krankenhauskirche St. Vitus statt. Das dort errichtete Denkmal für die Opfer der Krankenmorde besteht aus blau eingefärbten Fotografien auf quadratischen Glasscheiben. Darauf zu sehen: Die Gesichter hunderter Opfer, ehemalige Patientinnen und Patienten der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll. Zwischen den drehbaren Glasschreiben eingestreut: kleine Spiegel. Die Betrachterinnen und Betrachter blicken früher oder später in ihr eigenes Spiegelbild - rechts und links daneben Opfer der Aktion T4. Die Installation möchte damit zeigen: Alle Menschen sind gleich – trotz aller Unterschiedlichkeiten. Diese Erkenntnis steht auch auf dem zugehörigen Gedenkstein: „Gedenket der Opfer, aber auch der Täter und derer, die in der Not geholfen haben! Sie alle waren Menschen wie wir“.
Prof. Dr. Clemens Cording, langjähriger stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie & Psychotherapie der medbo Regensburg, erforschte ab 1985 die Geschichte der Heil- und Pflegeanstalt Karthaus-Prüll während der NS-Zeit. Die Ergebnisse seiner Recherchen veröffentlichte Prof. Cording in einem Buch über die NS-Verbrechen in Karthaus-Prüll und die Rolle der Psychiatrie im Nationalsozialismus.
Auf seine Initiative hin fand am 4. November 1990 die erste Gedenkfeier statt, die seither regelmäßig an die Opfer der T4-Aktion erinnert.
Weitere Informationen unter Erinnern. Nicht vergessen.