WhatsApp, Doc?!

Digitale (R)evolution: Die Einen freuen sich darauf, den Anderen graut es davor.

Eigentlich sind selbst Smartphones und Tablets schon wieder von gestern.

Die nächsten Technologietrends – virtual reality, autonomes Fahren, künstliche Intelligenz etwa – sind längst im Rennen.
SYNAPSE sprach mit dem medbo Psychiater, Neurologen und Kommunikationscoach PD Dr. Volker Busch über „intelligenten Wandel“.

Chancen der Digitalisierung

Dr. Busch, was gewinnen wir Menschen, was verlieren wir durch Digitalisierung?

B.: Die Chancen digitaler Devices bestehen wissenschaftlich nachweislich in der Ökonomisierung von Prozessabläufen: Wir sparen vor allem Zeit. Kommunikative Prozesse gelingen deutlich leichter und sind komfortabler als früher. Damit sind die digitalen Möglichkeiten der Steuerung und Kontrolle von Arbeitsprozessen, der Kommunikation oder der Unterhaltung zunächst einmal weder gut noch schlecht. Es ist die Art und Weise, wie wir mit den technischen Möglichkeiten unseren Alltag gestalten, die den Dingen ihren eigentlichen Wert gibt. Erst durch die Nutzung entstehen die spezifischen Vor- und die Nachteile – ganz individuell. Auf das digitale Zeitalter zu schimpfen hilft da wenig. Verantwortung beginnt immer bei uns selbst! 

Risiken der Digitalisierung

... und die Risiken?

B.: Risiken bestehen bei unserer Aufmerksamkeitssteuerung. Studien zeigen, dass wir heute oftmals deutlich abgelenkter und unterbrochener sind. Digitale Medien erschweren mitunter unsere Konzentration auf das, was gerade wesentlich ist. Die Reizdichte mit ihren visuellen, akustischen und haptischen Signalen macht uns insgesamt impulsiver, weil wir sehr häufig und ganz unmittelbar auf zahlreiche Signale um uns herum reagieren. Wir können uns einer Sache dadurch schlechter anhaltend widmen und empfinden häufig größere Schwierigkeiten, uns noch mit der nötigen Tiefe in der Angelegenheit zu versinken. Das wiederum kann negative Auswirkungen haben auf unsere Leistung beziehungsweise unser Stressempfinden. Aber auch hieran ist nicht das Handy an sich schuld, sondern unser reflektierter Umgang damit. 

Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz: Wird sie uns Schritt für Schritt das Denken abnehmen?

B.: Hier haben wir einen fundamentalen Attribuationsfehler, der immer wieder gemacht wird. Künstliche Intelligenz (KI) denkt nicht. Sie korreliert. Aus den gefundenen Zusammenhängen macht sie allenfalls Vorschläge für eine Interpretation, basierend auf Algorithmen. Das ist schon viel und gelingt auch zunehmend besser. Aber mehr ist es eben auch nicht. Daher nennt man die KI heute trotz ihrer beeindruckenden Fortschritte auch nach wie vor „schwache Intelligenz“. Je mehr Maschinen „Big Data“ generieren und sammeln, desto wichtiger wird das menschliche Denken hinter den Daten.

Umgang mit Information

Damit haben wir als Gesellschaft den Auftrag, das Lernen anzupassen, also die Methodenkompetenz im Umgang mit Information ...

B.: Erst durch die Fähigkeit, Sinnhaftigkeit aus Korrelationen herauszulesen, gegebenenfalls statistische Fehler aufzuspüren und nicht zuletzt kritisch zu hinterfragen, entsteht die „starke“ Intelligenz des Menschen. Je digitaler unsere Welt wird, desto mehr müssen wir unseren Kindern und Auszubildenden genau dies beibringen. Das Denken in digitalen Zeiten sollte uns zunehmend wichtiger werden. „Sapere aude – bediene dich deines kritischen Verstandes ...“. Das Bonmot von Immanuel Kant hat eine ungemein aktuelle Bedeutung! 

Digitalisierung und Gehirn

Frage an den Neurologen: 
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf unser Gehirn aus?

B.: Generative Veränderungen sind immer schwer nachzuweisen. Sie entziehen sich im Allgemeinen einer plausiblen Untersuchbarkeit. Denn um gesellschaftliche Einflüsse auf unser Gehirn zu untersuchen, bräuchten wir Vergleichsuntersuchungen über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte. Das ist methodisch anspruchsvoll, wenn nicht gar unmöglich. Man geht derzeit davon aus, dass sich das menschliche Gehirn in Abständen von etwa 10.000 Jahren verändert. In jedem Fall dürfen wir davon asugehen, dass sich unser Lebenswandel aktuell schneller verändert, als das Gehirn als Organ evolutionsbiologisch hinterherkommt. Aber fragen Sie mich sicherheitshalber in 10.000 Jahren nochmal (lacht)!

Informationsflut

Jetzt kommt der Psychiater:
Gibt es psychische Syndrome oder Symptome, die Menschen in digitalisierten Welten entwickeln? Stichwort Informationsflut …

B.: Ob es tatsächlich einen Informations-Overflow gibt, ist umstritten. Möglicherweise jagen wir hier ein Phantom. Prinzipiell kommt ein Gehirn durch viele Informationen nicht zu Schaden. Es braucht allenfalls bei starker Reizflut mehr Zeit zur Verarbeitung. Tatsächlich ist in diesem Zusammenhang belegt ,dass wir in unserer reizdurchfluteten Gesellschaft heute viel weniger Ruhezeiten haben, in denen unser Gehirn „aufräumen“ kann. Das wiederum fühtr nachweislich zu weniger Muße, in der Ideen geboren, Lösungen gefunden oder Krisen bewältigt werden.


Ein Hoch auf die Pause und die Langeweile also!

B.: Konsum stört oder unterbricht Aufräumarbeiten im Gehirn und damit das assoziative Denken. Das gelingt in reizarmen, monotonen Situationen einfach besser, zum Beispiel bei einem Waldspaziergang oder beim Segeln – alles ohne Handy natürlich. Das ist der Preis, den unsere multimediale Gesellschaft für den Dauerkonsum zahlt. Wir finden kaum noch Momente, in denen wir mit uns allein sind.

Strategien für Eltern

Welche Strategien empfehlen Sie insbesondere Eltern?

B.: Neue Technologien abzulehnen, bringt aller Erfahrung nach nichts. Sinnvoller ist es, sie kennen und kontrollieren zu lernen. Erst dadurch entwickelt sich die Fähigkeit zum klugen Umgang. Vor dem zehnten bis zwölften Lebensjahr sind Smartphones bei Kindern eher als kritisch, zumindest aber als verzichtbar zu bewerten. Die wichtigen Lernleistungen bestehen bis zu diesem Alter in sozialen und motorischen Fähigkeiten. Für beides brauchen Kinder keine Bildschirme. Darüber hinaus müssen sich Konzentration und Impulskontrolle erst entwickeln. Ein Handy in der Grundschule stört die Aufmerksamkeit. Wenn die Kinder auf weiterführende Schulen gehen, kann man digitale Medien einführen. Alles andere wäre kaum zeitgemäß und letztlich unrealistisch.


Das digitale Leben sollte also erst mit der Mittelschule oder dem Gymnasium beginnen?

B.: Auch bei Kindern ab diesem Alter ist es unabdingbar, sehr früh klare und konsequente Regeln für den Umgang zu definieren, etwa handyfreie Zonen wie zum Beispiel: nicht bei Tisch, nicht bei den Hausaufgaben, nicht im Bett nach 20 Uhr. Es ist wichtig, Freiräume zu bewahren, in denen echte soziale Kontakte stattfinden, Konzentration auf wichtige Arbeiten möglich ist oder einfach nur Ruhe für Aufräumarbeiten im Gehirn besteht. Die Nutzung digitaler Medien sollte zudem nicht an Belohnungen oder Bestrafungen gekoppelt werden, weil das die Devices emotional auflädt. Die Handynutzung sollte also unabhängig von den Schulnoten oder anderen Aspekten vereinbart werden. Je rituatlisierter und emotional neutraler die Handyregeln eingehalten werden, desto weniger stark ist der tägliche Kampf zwischen Eltern und Kindern. 

Digitalisierung im Alltag als Mediziner

Wie digital ist eigentlich Ihr Alltag als Mediziner heute?

B.: In der Psychiatrie hält es sich insgesamt noch in Grenzen. Das Fach bleibt sprechend. Die Kernkompetenz ist nach wie vor analog, wenn man von den leidigen Dokumentationen einmal absieht. Da sind andere Fachrichtungen bereits digitaler. In der Ambulanz ertappe ich mich selbst jedoch immer öfter dabei, wie ich als technikbegeisterter Arzt auch meinen eigenen Patienten Apps oder digitale Hilfen empfehle, Webseiten nenne oder Informationsvideos zeige. Ich beobachte gerade bei den jüngeren Patienten ein wachsendes Interesse daran. Natürlich muss man „digitale Gimmicks“ klug auswählen und immer dosiert einsetzen. Das Gespräch vis-a-vis können sie nicht ersetzen, aber sie können die konventionelle analoge Medizin sinnvoll ergänzen.


Wenn die gute Digitalisierungs-Fee Ihnen drei Wünsche erfüllen würde: 
Was würde sich der Arzt Volker Busch wohl wünschen?

B.: Ich hätte nur den Einen: Ich wünsche mir, dass wir uns als Gesellschaft darüber bewusst werden, welche großartigen Chancen in der Digitalisierung liegen, aber dass wir zugleich den Menschen bei dieser Transformation immer im Mittelpunkt behalten. Digitalisierung sollte die Dinge in unserem Leben nicht bloß schneller oder bequemer machen, sondern vor allem besser ...

Vielen Dank, Dr. Busch!