HAUS 13 ist nachts eines der stillsten Häuser am medbo Bezirksklinikum Regensburg – dafür geht es tagsüber umso lebhafter zu. Was genau dort passiert, schaue ich mir einen Tag lang an.
Es ist kurz vor Halb-Acht an einem strahlend schönen Sommertag. Das Bezirksklinikum schläft nicht mehr, aber viel sehe ich davon nicht, denn mein Ziel – HAUS 13 – ist eines der am einfachsten und schnellsten erreichbaren Gebäude auf dem weitläufigen Krankenhausgelände. Gleich hinter dem Besucherparkplatz liegt der große dreigeschossige Granitsteinbau aus den 1930er Jahren (schätze ich), von der Zentralen Omnibushaltestelle der Universität Regensburg aus praktisch in weniger als zwei Gehminuten erreichbar. Das Gebäude hatte schon viele Funktionen, aber seit Anfang 2024 beherbergt es die neue psychiatrische Tagesklinik.
Hinter der massiven hölzernen Eingangstüre auf der Nordseite stehe ich auf einem noch originalen Steinboden. Es ist kühl und relativ dunkel. Eine schöne alte Holztreppe, die tatsächlich ein wenig knarzt, führt linker Hand nach oben. Im ersten Obergeschoss ändert sich das Ambiente dann völlig. Eine frisch renovierte, in hellen Farben gehaltene Umgebung, mit erstaunlichem Platzangebot öffnet sich. Viele Fenster, ein Wintergarten – auf der Westseite blickt man hier in einen wunderschönen, fast verwunschenen kleinen Park.
Keine Klinik „light“
Uschi Simbeck-Rzychon erwartet mich in ihrem Büro im ersten Stock. Sie ist die pflegerische Leitung des gesamten Hauses und hatte mich eingeladen, mal zu hospitieren. Freilich weiß ich, was „teilstationär“ bedeutet – oder glaube das zumindest. Hier werden Patienten stationär behandelt, ohne dass sie in der Klinik übernachten. Kurz gesagt, aber zu kurz gedacht! „Alle Patienten kommen werktags so bis halb Neun zu uns in die Klinik. Bis spätestens 16:00 Uhr gehen sie wieder nachhause.“, bestätigt Simbeck-Rzychon mich. Aber die Tagesklinik sei so viel mehr als eine Light-Version eines Vollzeitkrankenhauses, erfahre ich nun von ihr. Die zeitlichen Abläufe ähnelten nicht ohne Bedacht der eines Arbeitsplatzes. „Nach oft langen Krankheitsphasen müssen sich viele Leute erstmal wieder an Tagesstrukturen herantasten. Das geht nicht von heute auf morgen. Die psychische und körperliche Belastbarkeit sind oft noch nicht hoch genug.“ Zwischen sechs und acht Wochen seien die meisten Patienten hier – das sei aber immer recht individuell.
Bei vielen Patienten schließe sich die teilstationäre einer vorangegangenen vollstationären Behandlung an. Aber immer häufiger sei die tagesklinische Behandlung gleich die initiale Versorgungsform. Ich will von ihr wissen, welche Krankheitsbilder in HAUS 13 behandelt werden. „Wir haben eine auf Suchtthemen spezialisierte Station, die drei anderen Stationen sind gemischt: Depressionen, Ängste, ADHS, Psychosen …“. In der Schwester-Tagesklinik HAUS 26 gäbe es die Spezialprogramme für Posttraumatische Belastungsstörungen und Borderline-Störungen. „Dennoch haben wir hier auch Patienten aus diesen Spektren“.
Am Stützpunkt
„Ich stelle Ihnen gleich mal die Kolleginnen am Stützpunkt vor“: Uschi Simbeck-Rzychon ist voller Energie: “Hier ist die pflegerische Zentrale der beiden Stationen, die in diesem Geschoss untergebracht sind.” Eine Station betreut etwa ein Dutzend Patienten. Das Stockwerk darüber ist fast identisch eingerichtet – auch dort sind zwei Stationen untergebracht. Der Pflegestützpunkt ist zum Stationsbereich hin voll verglast: Jeder kann reinschauen, alle können rausschauen. „Hier ist immer jemand von der Pflege vor Ort, damit die Patientinnen und Patienten jederzeit einen Ansprechpartner finden“, erklärt mir Uschi Simbeck.
Gut gelaunt begrüßt sie die drei Frauen, die heute früh Dienst haben. Zwei Kolleginnen bereiten gerade die morgendliche Medikamentenausgabe vor. Erste Patienten schauen vorbei, holen sich ihre Tabletten und erzählen ein wenig, wie sie die Nacht verbracht haben und wie es ihnen geht. Die dritte Kollegin telefoniert. Ein Patient gibt gerade Bescheid, dass er sich verspätet. „Das gehört alles schon mit zum Behandlungskonzept von HAUS 13“, erklärt mir Uschi Simbeck-Rzychon, „Der Aufbau und das Einhalten einer Tagesstruktur, Verlässlichkeit, Durchhaltevermögen und Absprachefähigkeit sind wesentliche Therapie-Ziele für unsere Patienten: morgens aufstehen, zur Klinik kommen, die Medikamente rechtzeitig einnehmen ... Und wenn mal jemand nicht kommt oder sich verspätet, ist für uns sogar die Begründung aufschlussreich.“ Der kleine Plausch bei der Medikamentenausgabe gibt dem Pflegepersonal also erste Hinweise. Anwesenheit, Medikation und Befinden werden auch in einer Liste dokumentiert.
Im Team
Kurz nach halb Neun ist „Tagesinformation“ angesetzt. Hier treffen sich die Stationsärzte, Psychologen und Therapeuten, der Sozialdienst und die Bezugspflegekräfte zu einem Austausch über die Patienten. Die Informationen von der Medikamentenausgabe sind hier natürlich erstes Thema. Ein zweites ist die Frage, ob an diesem Tag Entlassungen und Neuaufnahmen anstehen. „Denn“, so erklärt mir Uschi Simbeck-Rzychon, „an Entlassungstagen kommen meist auch neue Patienten. An solchen Tagen kann es sein, dass wir eine höhere Gruppenstärke planen müssen.“
Die Bezugspfleger berichten über jeden einzelnen ihrer Patienten. Machen sie Fortschritte, gibt es Probleme bei einzelnen Therapieformen, müssen bestimmte Themen wie die Entlassungsplanung angegangen werden? Die Stationsärzte dokumentieren die Informationen gleich digital mit, passen Medikationspläne an, stellen ihrerseits Fragen. Die Psychologen berichten aus den Gruppen- und Einzeltherapien, die Ergotherapeuten schildern ihre Beobachtungen, der Sozialdienst liefert Informationen etwa über das familiäre Setting oder sonstige Probleme der Patienten. Es wird rege, aber effizient diskutiert.
Struktur in den Tag bringen
Nach dem Meeting stellt mir Uschi Simbeck-Rzychon die Wochenpläne der Stationen vor. Anders als in der vollstationären Klinik stünden in HAUS 13 vor allem die gruppentherapeutischen und -dynamischen Angebote im Vordergrund. „Einzelgesprächstherapien gibt es auch, sie sind aber bei weitem seltener“, erklärt sie. Ist im Prinzip logisch: In der Tagesklinik geht es für die Patientinnen und Patienten darum, sich fit für einen wie auch immer gearteten Alltag jenseits der Klinik zu machen. Da stünden, so die Pflegechefin, soziales Kompetenztraining ebenso im Vordergrund wie die Frage, wie man seine Freizeit gestalten kann, einen Tag sinnvoll strukturiert, alltagspraktische Dinge plant und umsetzt. Und wie man seine seelische Widerstandskraft – die Resilienz – Schritt für Schritt stärken kann. „In der vollstationären Klinik wird viel unterstützt. Triviale Dinge wie Essen kochen werden Einem über lange Zeit abgenommen. Und draußen ist man dann oft wieder ganz auf sich allein gestellt. Wenn sich Patienten darauf nicht vorbereiten können, droht mit dem Scheitern auch der gesundheitliche Rückfall.“
Picknick
HAUS 13 verfügt über eine eigene große ergotherapeutische Abteilung, wo genau diese Alltagsdinge erprobt werden können. Und zu der bringt mich Simbeck-Rzychon als nächstes. Sie befindet sich im Erdgeschoss des Hauses und nimmt dort fast die ganze Etage ein. Es gibt hier Werkstätten, wo gerade Körbe geflochten werden. Die sollen bepflanzt werden und draußen im Garten von HAUS 13 die Terrasse verschönern. Es gibt eine Töpferei, einen Nähmaschinenplatz, Werkbänke und Werkzeuge aller Art, Farben und Pinsel. Auch ein kleiner Indoor-Sportraum mit einer Dart-Scheibe und einer Tischtennisplatte ist da. Und eine Küche! Dort bereiten Patienten gerade ein Picknick vor, das für nachmittags geplant ist. Ich spüre die Aufregung und Vorfreude der Köche, die fleißig Hummus pürieren, Obstsalat schneiden, Muffins backen und in Körbe packen.
„Unsere Patienten können natürlich die generellen Angebote des Bezirksklinikums nutzen. Die Sportstätten und die Musiktherapie etwa. Aber wir planen auch Spezialtherapien wie zum Beispiel Lichttherapie oder transkranielle Magnetstimulation ins Wochenprogramm ein. Ganz individuell“, so Uschi Simbeck-Rzychon. Und wem das alles zu viel ist, der kann sich auch mal zurückziehen: Ich sehe Tageszeitungen, Puzzlespiele, Bücher überall in HAUS 13.
In der Gruppe
Die Gruppe ist das wesentliche therapeutische Instrument in HAUS 13. Ich darf an einer davon teilnehmen. Zehn Patientinnen und Patienten sitzen in einem Stuhlkreis. Es sind ganz junge Leute dabei – ein Abiturient, eine Auszubildende: Aber auch eine Endfünfzigerin. Ich kenne ihre Diagnosen nicht, aber es ist eine der gemischten Gruppen. Geleitet wird die Sitzung von Sozialpädagogin Monika Weigl. Im Wochenplan steht „Themengruppe“. Weigl erklärt mir, dass dies ein eher offenes Konzept ist, das jeder Therapeut quasi mit einer eigenen Handschrift befüllt.
Die Pädagogin plant heute eine scheinbar einfache Aufgabe: Die Patienten sollen sich gegenseitig interviewen und dann wechselseitig im Plenum vorstellen. Sie müssen sich also aufeinander einlassen. Auf der anderen Seite müssen sie strukturiert fragen und die Ergebnisse ebenso vorstellen. Es gibt ein zeitliches Gerüst – und Papier und Bleistift. „Der Clou ist: Sie sollen einander jeweils drei Situationen oder Dinge schildern, auf die sie persönlich stolz sind“, erklärt mir Weigl. Das sei eine wichtige Übung, um künftig positive Emotionen leichter abrufen zu können, sagt sie: „Wissen, was man sich wert ist, Kraft in sich selbst schöpfen können, sich in belastenden Situationen positiv motivieren – ganz einfach sich selbst mögen.“ Keine leichte Übung für Menschen, die wohl häufig mit Stigmatisierung leben müssen.
Die Ergebnisse hauen mich um. Egal, wer aus dem Stuhlkreis vorgestellt wird: jeder ist überraschend anders als von mir gedacht. Die junge Frau, deren wichtigstes Erlebnis ein Fallschirmsprung ist; der Mann, der einfach nur froh ist, dass er sich Hilfe in der Klinik geholt hat; die Frau, die auf 30 Jahre Ehe stolz ist. Oder der Junge, der gerade seinen Führerschein gemacht hat. Die Wucht der Normalität – irgendwie. Und gleichermaßen die Wucht des Außergewöhnlichen. Was so ein kleiner Perspektivwechsel alles bewirken kann. Auch bei mir.
Hoch soll sie leben
Es ist Mittag. In dieser Zeit wird es ruhig auf Station, da die Patienten dann zum Essen ins Mitarbeiterrestaurant am Bezirksklinikum gehen. Uschi Simbeck-Rzychon lächelt verschmitzt – sie hat etwas geplant … Eine Pflegemitarbeiterin geht nach sage-und-schreibe 44 Jahren bei der medbo in die Ruhephase ihrer Altersteilzeit. Heute ist ihr letzter Tag „on the job“. Simbeck-Rzychon hat einen kleinen Abschiedsbrunch vorbereitet. Gute Wünsche, ein paar Tränen und Geschenke gibt es nicht nur von den Kolleginnen und Kollegen, sondern auch von der zuständigen Leiterin Patienten- & Pflegemanagement, Silvia Schiekofer.
Auch das macht die Tagesklinik aus: Kollegialität. Man spürt es überall, das gegenseitige Wohlwollen, das Ziehen-an-einem-Strang. Ein guter Platz zum Arbeiten und zum Gesundwerden.