Es beginnt schleichend. Erst ist es ein Montagmorgen, an dem Max nicht in die Schule geht. Dann zwei Tage in der Woche, bald drei. Nach außen hin ist er krank, innerlich kämpft er mit Angst, Schlafstörungen und dem Gefühl, einfach nicht mehr mithalten zu können. Wochenlang verlässt er das Haus nicht mehr, ignoriert Nachrichten seiner Klassenkameraden, spricht kaum noch mit den Eltern. Die Schule meldet sich, später das Jugendamt. Zu diesem Zeitpunkt ist Max seit fast zwei Monaten nicht mehr im Unterricht gewesen.
Solche Fälle sind längst keine Einzelfälle mehr – sie sind Alltag. Experten schätzen:
5 bis 10 Prozent der Schüler sind vom sogenannten Schulabsentismus betroffen.
Sie nehmen also wiederholt oder längerfristig nicht am Unterricht teil.
Um dieses vielschichtige Phänomen besser zu verstehen und praxisnahe Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, kamen rund 350 Fachkräfte aus Schule, Jugendhilfe, Medizin, Polizei und Justiz beim interdisziplinären Fachtag in der Max-Reger-Halle in Weiden zusammen. Eingeladen hatte Dr. Christian Rexroth, Ärztlicher Direktor der medbo Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Amberg | Cham | Weiden. Mit dem Ziel, Ursachen zu beleuchten, Lösungen zu diskutieren und die regionale Zusammenarbeit zu stärken.
Warnsignal & Weckruf
„Schulverweigerung ist ein deutliches Warnsignal“, betont Bezirkstagspräsident Franz Löffler, „und die steigenden Fallzahlen sind ein Weckruf an uns alle.“ Denn wer sich aus dem Schulsystem zurückziehe, tue das selten aus Desinteresse. Vielmehr stehe dahinter meist eine komplexe Mischung aus psychischer Überforderung, familiärer Belastung und fehlender Perspektive.
Viele Schulverweigerer würden in eine gefährliche Abwärtsspirale geraten. Von der Schulbank direkt in Isolation, Unsicherheit und Zukunftsangst. Denn ohne Schulabschluss sinken die Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Löffler appelliert an die gesellschaftliche Verantwortung: „Ein Schulabschluss ist mehr als ein Dokument – er ist Zugang zu Bildung, Teilhabe und Zukunft.“ In Bayern seien statistisch bis zu 170.000 Kinder und Jugendliche betroffen, in der Oberpfalz rund 6.000. „Wir können uns nicht leisten, ganze Generationen zu verlieren“, mahnt der Bezirkstagspräsident.
Schulabsentismus oft Symptom
„Wenn sich junge Menschen über Wochen oder Monate vollständig aus dem schulischen Alltag zurückziehen, ist das meist kein Widerstand gegen Schule – sondern ein Rückzug aus der Welt“, betont Dr. Christian Rexroth. Der Ärztliche Direktor der medbo Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Amberg | Cham | Weiden weiß: „Schulabsentismus ist ein ernstzunehmendes Symptom. In der Regel ein Ausdruck einer länger bestehenden psychischen Belastung oder Erkrankung.“ So würden viele der betroffenen Jugendlichen unter depressiven Symptomen, sozialer Rückzugsneigung, Ängsten oder psychosomatischen Beschwerden leiden. Oft auch in Kombination.
„Der Entwicklungsraum Schule ist dann kein Ort des Lebens und Lernens mehr – sondern ein Ort der Belastung und Überforderung“, sagt der Facharzt. Wichtig sei es deshalb, solche Entwicklungen früh zu erkennen und individuell darauf zu reagieren. Hierzu sind viele Stellen gefragt, denn: „Niemand kann dieses Phänomen allein lösen“, so Dr. Rexroth. Daher stellt er als Initiator des Fachtags die Zusammenarbeit in den Mittelpunkt. Schulen, medizinische Einrichtungen, Jugendämter, Polizei, Justiz – sie alle sind bereits aktiv, engagiert und erfahren im Umgang mit Schulabsentismus. Doch der Austausch, die Strukturierung von Zuständigkeiten und der frühzeitige Blick auf gefährdete Schülerinnen und Schüler sollen weiter gestärkt werden. „Schulabsentismus ist kein Randphänomen, sondern eine gemeinsame Herausforderung.“
Intervention, Ambulanz & mehr
Im Zentrum des Fachtags standen wissenschaftlich fundierte Vorträge und konkrete Praxisbeispiele. Zum Beispiel von der Chefärztin der medbo KJPP Regensburg. PD Dr. Stephanie Kandsperger stellte die Ergebnisse aus der Spezialambulanz für Schulabsentismus in Regensburg vor. Das Team der Ambulanz aus der medbo KJPP in Weiden um Frau Dr. Christian Burger präsentierte außerdem analog das spezialisierte Versorgungskonzept der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Nordoberpfalz.
Einblicke in erfolgreiche Interventionsmodelle im Schulalltag gab es von den staatlichen Schulpsychologen der Oberpfalz Dieter Bauer, Karin Hoffmann und Franziska Urban sowie von Barbara Gierth von der staatlichen Schulberatungsstelle Oberpfalz.
Auch regionale Partner zeigten ihre Strategien: Polizeioberkommissar Manuel Ott von der Polizeiinspektion Weiden erläuterte den sogenannten „Schulverweigereransatz“, der im engen Austausch mit Schulen und Jugendämtern umgesetzt wird – mit sensibler Ansprache, dokumentierten Kontakten und kontinuierlicher Begleitung.
In mehreren Workshops am Nachmittag wurden Themen wie die Rolle der Jugendhilfe, die Kooperation mit Gerichten oder der Aufbau regionaler Frühwarnsysteme vertieft. Ziel: vorhandene Strukturen stärken, Zuständigkeiten klarer definieren und Kinder frühzeitig erreichen.
Klinikneubau in Weiden: Neue Perspektiven für die Region
Der Fachtag zeigte: Schulabsentismus erfordert nicht nur Haltung und Kooperation, sondern auch verlässliche Strukturen vor Ort. Diese wird in Weiden in wenigen Monaten weiter gestärkt. Mit dem laufenden Neubau unserer modernen Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der medbo entsteht in Weiden ein neuer Ankerpunkt für Prävention, Diagnostik und Behandlung.
Bereits seit 1998 ist die Ambulanz der medbo KJPP in Weiden aktiv, seit 2001 ergänzt durch eine Tagesklinik. Mit der Eröffnung des neuen Klinikgebäudes im nächsten Jahr wird dieses Angebot nun deutlich erweitert: Erstmals wird es 32 stationäre Behandlungsplätze in der Nordoberpfalz geben, die Zahl der Tagesklinikplätze steigt auf 18. Im weiteren Verlauf wird auch eine Mutter-Kind-Tagesklinik eröffnet.
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