Angst: Das Monster in meinem Kopf

Die Geschichte der 26-jährigen J., Angstpatientin der Psychiatrischen Tagesklinik am Bezirksklinikum Regensburg – ein Bericht in ihren ganz eigenen Worten.

Vor der tagesklinischen Behandlung war es, bildlich gesprochen, als würde ich durch mein Leben schweben. Ich hatte keine wirklichen Ansprechpartner:innen oder einen Sinn im Leben. Jeder Tag war einzig dafür da, ihn überleben zu müssen. Es war einfach nur die Hölle.

Ich war ein glückliches Kind mit einer – ich würde es mal so kitschig ausdrücken – perfekten Familie. Stets eine sehr gute, selbstbewusste, eifrige, sympathische, offene Schülerin, die jährlich zur Klassensprecherin gewählt wurde. Ich ging Hobbies nach. Besonders das Tanzen war meine große Leidenschaft. Mich konnte man nicht bremsen. Ich war mit meinen 55 kg auf eine Körpergröße von 1,68 cm sehr schlank und sportlich. Ich war immer Klassenbeste nach der Grundschule und liebte neue Herausforderungen und das Vortragen von Referaten oder ähnliches. Ich hatte sehr viele Freundinnen und war durchaus beliebt.

Dann schlug das Leben zu

Nach schlechten Erfahrungen entwickelten sich in mir Ängste, ein Monster entstand. Es wurde von Tag zu Tag mächtiger und ich schwächer. Es redete mir anfänglich ein, ich solle Dinge lieber lassen oder ich solle Dinge lieber ab und an kontrollieren, ehe ich das Haus verlasse. Ich ließ Freundschaften schleifen. Schlussendlich habe ich jedes Treffen vor Angst abgesagt. Ich blieb nur noch zuhause bei meinen Eltern. Ich bin nicht mehr selbst zum Einkaufen gefahren, noch zu irgendwelchen Behörden. Wenn ich rausging, dann nur um mit meinen Hunden Gassi zu gehen.

Angst. Vor allem, vor jedem.

Ich hatte vor der Türklingel, fremden Menschen, Freund:innen, dem Alleinsein Angst. Ich konnte nirgendwo ohne Begleitung hin. Alles steigerte sich natürlich mit jedem neuen Tag, Monat, Jahr, das verging. Ich hatte vor jeder Sache Angst und wusste bei jeder Tätigkeit mindestens 100 angsteinflößende Situationen, die ja eventuell passieren können, wenn ich einen Schritt in die Außenwelt setzen würde. Ich hatte verlernt Spaß zu haben. Ich war immer wie versteinert. Ich hatte keinerlei Selbstbewusstsein mehr, traute mir nichts mehr zu.

Vor Männern hatte ich die größte Angst. Ich konnte einem Mann weder in die Augen sehen, noch neben einem vorbeigehen, ohne dass ich nicht am ganzen Körper zu zittern begann und Panikattacken bekam.

Zwanghafte Kontrolle

Schließlich bin gar nicht mehr rausgegangen und habe auf ein einziges Jahr 50 kg zugenommen. Dies war mein Schutzpanzer. Aber es war noch nicht genug. Denn dann wurde auch mein Kontrollbedürfnis zwanghaft. Elektrogeräte wurden hundertfach geprüft, ob ich sie auch ja ausgeschaltet habe, der Briefkasten mit der Hand ausgewischt – es könnte ja sein, ich sehe einen Brief nicht. Ich habe mir nicht mehr vertraut.

Ich war schon jahrelang in Behandlung. Mein Psychiater hat mich auf die Tagesklinik in Regensburg aufmerksam gemacht. Für mich war es immer schon undenkbar, mich irgendwo einweisen zu lassen. Und ob sie es mir glauben oder nicht, aber ich hielt mich auch nie für so „krank“! Ich hielt mich für sehr schwach.

Chance Tagesklinik

Ich sagte meinem Psychiater, ich mache alles mit, nur nicht vollstationär, denn wie vor allen Dingen hatte ich auch davor ganz viel Angst. Aber die Tagesklinik ist eine teilstationäre Sache – morgens geht man hin, nachmittags wieder nachhause.

Allein vor dem Tag der Anmeldung hatte ich schon höllische Angst. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich wollte fliehen und mein Kopf schien zu explodieren. Ich war schon Wochen zuvor „schwerkrank“ vor Angst. Die Hinfahrt, das Parken und das Durch-Die-Türe-Gehen waren eine Tortur.

Im Fluchtmodus

Mir kamen Minuten wie Stunden vor. Ich war komplett durchgeschwitzt und ständig im Fluchtmodus. Ich habe auf so viele Dinge achten müssen, auf Ein- und Ausgänge zum Beispiel. Es war die reine Hölle in meinen Kopf. Aber es gab keinen anderen Weg für mich. Ich wollte einfach wieder „normal“ sein! Ich wollte keine Angst mehr vor jedem neuen Tag haben. Mein Leben war so anstrengend, dass es nur noch ein einziges tägliches Überleben war. Ich wollte einfach wieder normal und menschlich leben!

Angstgruppe: Eine zweite Familie

Die Tagesklinik war am Ende wie eine zweite Familie. Man wird so aufgenommen, wie man ist. Unter den Mitpatient:innen hat man nicht mehr dieses Gefühl, anders zu sein. Das tut sehr gut. Keiner wird zu irgendetwas gezwungen.

Ich hatte das große Glück, dass ich die Angstgruppe ganze dreimal mitmachen durfte. Die erste Angstgruppe verlief eher schleppend. Es waren nur kleine Fortschritte zu sehen. Das Problem war, dass ich allein schon etwa drei Monate gebraucht hatte, um erstmal das nötige Vertrauen gegenüber den Therapeut:innen aufzubauen. Damit meine ich, um überhaupt mit mir arbeiten zu können.

Ich durfte ein zweites Mal kommen. Während dieses Aufenthalts nahm ich knapp 60 kg ab. Ich fing an, mich neu zu erschaffen. Die Therapeut:innen haben nie aufgegeben, an mich zu glauben.

Feuerwerk

Das dritte Mal war ein totales Feuerwerk. Ich machte wahnsinnige Fortschritte. Dank der perfekten Zusammenarbeit mit den Therapeut:innen ging es stetig bergauf. Ich habe zum Schluss bei fast allen Angeboten teilgenommen. Ich habe mit den anderen Patient:innen gekocht, gegessen und sogar Spaß gehabt.

In meinem Leben hat sich nahezu alles verändert. Ich bin sehr viel glücklicher und zufriedener. Mein Leben hat wieder mehr Struktur und ich habe mich selbst wieder besser kennengelernt. Ich traue mich wieder in nicht zu große Läden hinein. Ich traue mir mehr Dinge zu. Ich kleide mich anders, gehe wieder unter Menschen.

Ich habe so viel an Lebensqualität dazugewonnen! Manchmal gelingt es mir schon, andere fremde Menschen anzusehen, und ich fange an, Kontakte mit wichtigen Menschen zu pflegen. Ich traue mich in meine eigene Wohnung, was anfangs völlig undenkbar für mich war. Sie stand sozusagen leer – jahrelang. Ich habe wieder Wünsche und Ziele, an die ich glaube.

Ziel vor Augen

Es sind noch so viele Verbesserungen notwendig, um ein „normales“ Leben zu führen, doch hatte ich nie gedacht, dass ich dem so nahekomme! Berufliche Perspektive? Mein beruflicher Weg soll mit dem Projekt „AnnA“ der Lernwerkstatt der Katholischen Jugendfürsorge Regensburg in absehbarer Zeit beginnen. „AnnA“ bedeutet „Annäherung an Arbeit“ und ist eine berufsfördernde Rehabilitationsmaßnahme für Menschen mit psychischen Erkrankungen. Am meisten stolz bin ich auf meine Kraft, die irgendwo verborgen in mir schlummert: Ich weiß jetzt, dass sie da ist. Jahrelang dachte ich, sie gäbe es nicht mehr. Doch im Laufe der Tagesklinikaufenthalte wurde mir bewusst, sie ist noch da.

Ich kann sie jetzt fühlen. Ich habe auf zehn Monate über 60 kg abgenommen und habe somit mein Körpergewicht von 130,5 kg auf 70 kg reduziert. Dies war mein bislang größter Erfolg. Mir war nicht bewusst, dass ich eine solche Disziplin noch aufbringen kann.

Meine ganz persönliche Botschaft

Darum hier meine ganz persönliche Botschaft an alle da draußen, die mit ihren ganz persönlichen Monstern im Kopf kämpfen: Hallo, liebe Leidensgenossin, lieber Leidensgenosse! Worauf wartest du noch?

Es liegt ganz alleine in deiner Hand, das Ruder rumzureißen. Du wirst sehen, es lohnt sich. Ich habe ganz unten bei Null Prozent angefangen, doch jedes noch so kleine dazugewonnene Prozent an Lebensfreude fühlt sich einfach nur toll an! In der Tagesklinik begrüßt dich ein netter, liebenswerter Haufen Gleichgesinnter, denen es ähnlich ergeht wie dir. Ein super geschultes Team an Ärzt:innen, Therapeut:innen, Pädagog:innen, Pfleger:innen wird dir helfen.

* Der Name ist der Redaktion bekannt

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