Der diesjährige Preis für Frauen in Wissenschaft und Kunst der Stadt Regensburg geht an Privatdozentin Dr. Stephanie Kandsperger, stellvertretende ärztliche Direktorin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik & Psychotherapie (KJPP) am medbo Bezirksklinikum Regensburg.
Am 20. Mai 2025 überreichte Regensburgs Oberbürgermeisterin Getrud Maltz-Schwarzfischer bei einem Festakt im historischen Saal des Alten Rathauses den Preis. Die Laudatio auf Privatdozentin Dr. Kandsperger hielt der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Regensburg, Prof. Dr. Dirk Hellwig. Geehrt und gewürdigt wird ihr wissenschaftliches Engagement zum Thema Notfallversorgung psychisch schwer belasteter Kinder und Jugendlicher.
Stephanie Kandsperger ist Medizinerin und Forscherin aus Leidenschaft. Anfang 2007 wechselte sie vom Bezirksklinikum Mainkofen nach Regensburg an die KJPP der Medizinischen Einrichtungen des Bezirks Oberpfalz (medbo). 2011 erlangte die gebürtige Niederbayerin, die in Regensburg studierte, den Facharzt in Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie. Ihr oberärztlicher Aufgabenschwerpunkt bei der medbo lag von Anfang an im Bereich der KJPP-Institutsambulanz. Im Jahr 2014 wurde sie Leitende Oberärztin der Klinik. „Auf diese Weise konnte ich die Strategie der Gesamtklinik schon relativ früh wesentlich mit definieren“, sagt Dr. Kandsperger selbst.
Der Glücksfall: Lehrstuhl für KJPP in Regensburg
Wesentlich für die wissenschaftliche Entwicklung der jungen Ärztin war allerdings das Jahr 2018, als der Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Regensburg gegründet wurde. Der frisch berufene Lehrstuhlinhaber Prof. Dr. Romuald Brunner wurde in Personalunion Ärztlicher Direktor der medbo KJPP und erkannte schnell das wissenschaftliche Potential Dr. Kandspergers. Sie unterstützte von Beginn an den Aufbau der Forschungsabteilung und übernahm die Lehrkoordination für das Fach. „Bis 2018 war die medbo KJPP ein rein versorgendes Krankenhaus. Mit dem Lehrstuhl bot sich für mich die Möglichkeit, auch den Aufbau der Forschungsabteilung in der Klinik zu begleiten. Mir war relativ schnell klar, dass ich auch wissenschaftlich arbeiten wollte“, erinnert sie sich. Die Universität Regensburg wählte sie ihrerseits für die Teilnahme am Mentoring-Programm 2022/23 für Wissenschaftlerinnen auf dem Qualifizierungsweg aus. „Ich habe sehr von diesem Programm profitiert“, erinnert sich Kandsperger.
Die klinische Versorgungsforschung in Kombination mit der Untersuchung von neurohormonalen Faktoren sollte Dr. Stephanie Kandspergers Schwerpunkt werden. Durch ihre Arbeit in der KJPP-Institutsambulanz hatten sie und ihr Team regelmäßig mit jugendlichen Patienten zu tun, die schwerwiegende Symptome von vor allem Depressionen und Angsterkrankungen in Kombination mit selbstverletzendem und/oder suizidalem Verhalten aufwiesen. Das Forschungsthema bearbeitete Kandsperger in ihrer 2023 abgeschlossenen Habilitationsschrift „Psychiatrische Notfallversorgung bei Kindern und Jugendlichen: Ergebnisse aus der klinischen Versorgungsforschung“. Nach nur fünf Jahren – außerordentlich schnell also - wurde Kandsperger Ende 2023 habilitiert. Nun arbeitet sie an der nächsten Station ihrer akademischen Karriere: eine Professur.
Anstieg gefährlicher Krisen und Notfälle bei Kindern und Jugendlichen
In der zugrundeliegenden retrospektiven Studie untersuchte Kandsperger 902 einschlägige Notaufnahmefälle der Regensburger KJPP-Ambulanz im Zeitraum 2014 bis 2018 und jeweils das vierte Quartal. „Eine traurig hohe Zahl – noch vor Corona! – aber aus wissenschaftlicher Sicht eine mehr als solide Grundlage für unser Forschungsvorhaben“, so Stephanie Kandsperger. „In diesen Jahren stieg nicht nur die Zahl der ambulanten Notfallvorstellungen deutlich, sondern in der Folge ebenso die Zahl der notfallmäßigen unfreiwilligen stationären Aufnahmen in unserer Klinik“.
Erste Erkenntnis: Eine notfallmäßige Vorstellung wegen Alkoholkonsums, wegen abweichendem Sozialverhalten, psychosozialer Belastung und bei vorliegendem Flüchtlingsstatus führten nach Datenlage zu einer höheren Wahrscheinlichkeit für die jungen Patienten, unfreiwillig stationär aufgenommen zu werden. Dagegen verminderte die notfallmäßige Vorstellung in der Ambulanz wegen Schwierigkeiten in der Schule und Depressionen diese Wahrscheinlichkeit.
Eltern als wichtige Kooperationspartner
Die frühzeitige Diagnostik und die Einleitung von einschlägigen therapeutischen Maßnahmen ist gerade bei psychischen Erkrankungen im Jugendalter besonders wichtig, da besonders wirksam. Viele Erkrankungen in dieser Altersgruppe drohen zu chronifizieren, wenn sie unbehandelt bleiben. „In der psychiatrischen Notfallsituation versuchen wir oft genug, erst einmal die akute Gefährdung der Kinder und Jugendlichen abzuwenden. Aber bei unserer Arbeit geht es grundsätzlich darum, dass die jungen Patienten langfristig ein erfülltes Leben führen können“, sagt die Kinder- und Jugendpsychiaterin Kandsperger. Die Ärzte setzen bei der Diagnostik besonders auf die Eltern und Erziehungsberechtigten, die Auskunft über das familiäre und soziale Setting sowie über biografische Fakten der Patienten geben können.
Die Therapiemotivation der jungen Menschen sei, so Dr. Kandsperger, der Dreh- und Angelpunkt für den Behandlungserfolg. Aber auch die anhaltende Motivation der Erziehungsberechtigten, die Kinder und Jugendlichen auf der Genesungs-Langstrecke zu unterstützen, sei immens wichtig.
Spannend war für die Forscher um Dr. Stephanie Kandsperger daher gerade auch die Frage der Therapiemotivation der jungen Patienten und der sie begleitenden Personen. „Der ideale Fall ist, wenn sowohl der junge Patient als auch seine Erziehungsberechtigten die Notwendigkeit einer Behandlung begreifen, akzeptieren und entsprechend kooperieren. Besonders wenn selbstverletzendes Verhalten mit, aber auch ohne suizidale Tendenz vorliegen“, erklärt Dr. Kandsperger. Man würde meinen, das sei der Normalfall. Aber oft genug kämen, so Kandsperger, Patienten unbegleitet, d.h. ohne Begleitung von Sorgeberechtigten oder Bezugsbetreuern: Von den 431 stationären Notfall-Patienten (jeweils 4. Quartal der Jahre 2014 bis 2018) kamen 123 ohne Begleitung dieser Personen zu einer notfallmäßigen stationären Aufnahme.
Neue Routinen im Notfallmanagement
Aus der Studie heraus entwickelte Dr. Kandsperger mit dem Forschungs- und Ambulanzteam ein standardisiertes Notfallmanagement für Kinder und Jugendliche mit selbstverletzenden und suizidalen Gedanken und Verhaltensweisen. Wesentlich waren hier eine spezielle Kurzdiagnostik, das Ausfüllen eines Safety-Plans gemeinsam mit den Patienten und das Angebot von schnellen Terminen ohne lange Wartezeit.
Eine zweite wesentliche Erkenntnis des KJPP-Teams ist, dass auch die Eltern zu ihrer Motivation und zu möglichen Stressoren befragt werden, um hier frühzeitig Hürden abzubauen. „Denn wir erleben immer häufiger, dass Jugendliche aus eigenem Antrieb zu uns in die Ambulanz kommen und nach Hilfe fragen – auch ohne ihre Eltern“, erzählt Stephanie Kandsperger. Das sei eine hoffnungsvolle Entwicklung, meint die Ärztin, denn sie zeige, dass die junge Generation psychische Erkrankungen weniger stigmatisiere. Aber es sei auch eine sorgenvolle Entwicklung, wenn die Eltern aus Angst vor Stigmatisierung den Kindern die Unterstützung versagten. „Es darf nicht sein, dass Erwachsene erst den Notfall ihrer Kinder erleben müssen, bis sie an die Ernsthaftigkeit einer psychiatrischen Diagnose glauben“, schließt Dr. Kandsperger.
Foto: Privatdozentin Dr. Stephanie Kandsperger (links) & Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer (c) Stadt Regensburg 2025
Der Preis wirft ein Schlaglicht auf Frauen, die eine Karriere in Akademie oder Kultur anstreben, dabei erste große Erfolge vorweisen können. Der Stadtrat Regensburgs ehrt mit dem Preis alle zwei Jahre gerade auch Persönlichkeiten, die sich nicht zuletzt für die Interessen von jungen Frauen und Mädchen einsetzen und/oder diesen ein besonderes Vorbild sein können.
Die Dekane der Regensburger Fakultäten sowie die Hochschulleitungen schlagen die Preisträgerinnen vor. Eine hochkarätig besetzte Jury erarbeitet entsprechende Empfehlungen: Neben der Regensburger Oberbürgermeisterin und den Präsidenten der Regensburger Hochschulen sind auch die Gleichstellungsbeauftragten der Stadt, der Universität und der Ostbayerischen Technischen Hochschule OTH sowie das städtische Referat für Wirtschaft, Wissenschaft & Forschung mit von der Partie. Bei Bedarf wird externe Fachexpertise in die Jury integriert. Final entscheidet der Stadtrat über die Preisträgerschaft und verleiht den Preis formal.