Von Asien bis Afrika

Mein medbo Tag in der Kinder- und Jugendpsychiatrie Cham.

Heute führt mich mein medbo Tag in die "Stadt am Regenbogen": nach Cham im Bayerischen Wald. Dort befindet sich einer der Standorte der medbo Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (KJPP).

Seit 2007 gibt es sie dort mittlerweile: die Tagesklinik und Institutsambulanz der medbo KJPP. Angesiedelt ist sie durchaus medbo typisch nicht nur in unmittelbarer Nachbarschaft, sondern gleich als Untermieterin der SANA-Klinik mitten in Cham.

Bunte Farben

Aber nach Krankenhaus sieht es hier nicht aus. Im Gegenteil. Bunte Wände mit Handabdrücken und eine Spielecke im Eingangsbereich hinter der ebenfalls bunt bemalten Glas-Eingangstüre fallen mir sofort ins Auge. Und es gibt einen wunderschönen kleinen Garten mit Spielplatz.

Die kleineren und größeren Patient:innen

Zu Gast bin ich heute in der Tagesklinik. Das bedeutet, die Kinder kommen morgens um halb Acht in die Klinik und verlassen sie um 16:00 Uhr wieder. Nur freitags ist ein kurzer Tag, an dem die Kinder schon um 13:00 Uhr wieder nach Hause gehen. Die Tagesklinik ist in zwei Gruppen aufgeteilt: Afrika und Asien. In der Afrikagruppe sind aktuell sechs Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren. Teenager kommen in der Asiengruppe mit ebenfalls sechs Plätzen unter. Alle Patient:innen werden ihrem Alter entsprechend in die organisatorischen Strukturen der Tagesklinik eingebunden.

Frühstück in Asien

So gibt es um halb Zehn eine gemeinsame Frühstückspause. Unter Aufsicht bereiten die jungen Patient:innen gemeinsam das Essen zu. Sie schneiden Gemüse, backen Brezen auf und füllen Wasser und Saft in Krüge ab. Erst wenn der Tisch gedeckt ist und alle Kinder zusammen mit den beiden Betreuer:innen am Tisch sitzen, wird gegessen. Ich frühstücke mit der Asiengruppe. Dabei gibt es zwei Regeln: Jeder trinkt ein großes Glas oder zwei kleinere Gläser Wasser oder Saft und es wird von allem wenigstens eine Probierportion genommen. „Nur Karotten darf ich keine essen! Ich bin da nämlich allergisch!“, setzt Paul*, der mir gewissenhaft die Regeln erklärt hat, nach.

Über Politik und Portugal

Während des Frühstücks unterhält man sich über die verschiedensten Themen. Da die Landtagswahlen anstehen, spricht Betreuer Horst Puta mit den Jugendlichen über die unterschiedlichen Parteien in Bayern. Die Kinder erzählen vor allem von den Wahlplakaten, die überall aufgestellt sind. Schließlich wechselt das Thema über Fußball und Feldarbeit auf dem Bauernhof zu Portugal. Der Grund dafür ist das gemeinsam erarbeitete und selbst gestaltete Plakat im Frühstücksraum.

Terrakids

Unter Putas Leitung lernen die Kinder jeden Donnerstag bei den „Terrakids“ etwas über die Erde. Manchmal geht es um Länder, ein anderes Mal um Gebirge und Flüsse. Auch Umweltschutz ist ein wichtiges Thema. „Für mich ist wichtig, dass die Kinder wissen, wo sie herkommen und was um sie herum überhaupt ist“, erzählt Puta über die Gruppe. Wer mag, darf das Plakat am darauffolgenden Donnerstag mit heimnehmen. Da das Plakat die ganze Woche im Frühstücksraum hängt, werden die Kinder immer an den Erfolg erinnert, etwas gestaltet und geschafft zu haben.

Trialog: Patient:innen - Eltern - medbo

Die in der Therapie erarbeiteten Strategien für bestimmte Situationen und Verhaltensweisen können die Kinder und ihre Familien sofort zuhause umsetzen: Wie man mit Wut konstruktiv umgeht, wie man Regeln vereinbart oder wie man gut miteinander kommuniziert. Dafür ist es natürlich wichtig, dass Patient:innen, Eltern, Therapeut:innen und Betreuer:innen an einem Strang ziehen. Es entsteht ein Trialog.

Vorbereiten auf die Zeit nach der Klinik

Die Kinder und Jugendlichen brauchen die Rückendeckung und Unterstützung ihrer Eltern, um nach abgeschlossener Therapie gesund zu bleiben. Deshalb sind die Eltern immer mit im Boot. Aus diesem Grund gibt es einmal pro Woche ein Elterngespräch. Für eine allumfassende Diagnostik ist es notwendig, das Umfeld miteinzubeziehen. Dadurch erhalten die Therapeut:innen und Betreuer:innen ein differenzierteres Bild über die Lage der Patient:innen. Häufig haben die Eltern regen Gesprächsbedarf – es geht schließlich um das Wohl ihrer Kinder. Manchmal kommt es vor, dass die Eltern selbst unter einer psychischen Krankheit leiden. In diesem Fall wird die Empfehlung zu einer therapeutischen Behandlung ausgesprochen – auch hier gibt es den kurzen Weg zur Schwestereinrichtung der medbo, dem Zentrum für Psychiatrie Cham.

Kleine Lerngruppen, interaktiver Unterricht

Während des Klinikaufenthalts darf natürlich die schulische Bildung nicht zu kurz kommen. Ziel ist es schließlich, dass die Kinder und Jugendlichen nach der Klinik wieder eine Regelschule besuchen können. In Kleingruppen zu maximal vier Personen werden die Schulthemen in kleinen Schritten und vor allem im jeweiligen Tempo der Patient:innen erarbeitet. Lehrer Wolfgang Seefried unterrichtet die Afrika-Kinder. „Es kommt vor, dass die Lehrkräfte an den Regelschulen den Patient:innen Lernmaterial mitgeben. Dann versuchen wir, das natürlich so gut es geht durchzuarbeiten. Ansonsten haben wir auch unser eigenes Material in Mathematik, Rechtschreibung und Leseverständnis.“ Die Klassenzimmer sind mit Smartboards ausgestattet, um abwechslungsreichen und interaktiven Unterricht zu ermöglichen.

Belohnung: Ein positiver Verstärker

Ein altes bayerisches Sprichwort besagt: „Ned g‘schimpft is g‘lobt gnua.“ Dabei sind Komplimente und Belohnungen eine nicht zu unterschätzende Bestärkung von gutem Verhalten. Schelte kennen die Kinder und Jugendlichen häufig zur Genüge. Sie entwickeln ihre Strategien, mit den negativen Erfahrungen umzugehen. Bei einigen führt das zu einem gestörten Selbstwertgefühl, andere entwickeln eine „Ist mir egal, ich mache es doch sowieso falsch“-Haltung. Um dem entgegenzuwirken, werden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie die Erfolge sichtbar belohnt. Insgesamt kann man drei reguläre Sterne oder Belohnungspunkte für einen guten Schulbesuch und die gute Erfüllung der Aufgaben beim Frühstück und Mittagessen erhalten. Bonuspunkte gibt es bei der Übernahme von Extraaufgaben. Wenn man nun genügend Sterne gesammelt hat, gibt es obendrauf eine Belohnung. Diese reichen von einem Stück Schokolade bis hin zur außerordentlichen betreuten Einzelzeit.

Strukturen geben Halt

Durch diese Regeln können sich die Kinder und Jugendlichen an etwas festhalten. Ihr Leben ist oft soweit aus den Fugen, dass sie kein Land mehr sehen können. Zugleich ist Struktur etwas, das nur Wenige gut vermittelt bekommen haben. Heilerziehungspfleger Franz Gietl dröselt für mich die vier Grundprinzipien der KJPP auf. „Die Patient:innen sind freiwillig bei uns, demnach ist auch das, was sie tun, freiwillig. Grenzen werden gesetzt und eingehalten. Wir verhalten uns allen gegenüber respektvoll. Vereinbarungen werden eingehalten.“ Diese Prinzipien gelten nicht nur für die Patient:innen, sondern auch für die Betreuer:innen. Anhand dieser Regeln und mit einem festgelegten Tagesplan bestehend aus Schule, Mahlzeiten, Betreuungsgruppen und Therapiesitzungen, können sich die Kinder und Jugendlichen durch den Tag entlanghangeln. Solche Strukturen werden auch gemeinsam mit den Eltern erarbeitet, damit nach dem Klinikaufenthalt ein sicherer Rahmen für die Kinder und Jugendlichen bestehen bleibt.

Grundannahmen der Arbeit der KJPP Cham

1. Die Patient:innen und Eltern geben sich Mühe.

2. Die Patient:innen und Eltern wollen etwas ändern.

3. Die Patient:in hat nicht alle Schwierigkeiten selbst verursacht, muss sie aber selber lösen.

4. Das Leben der Patient:in ist so, wie es momentan ist, nicht auszuhalten.

5. Die Patient:innen müssen in allen relevanten Lebensbereichen ein neues Verhalten erlernen.

6.  Die Patient:innen können in der Therapie nicht versagen

 

* Name geändert

Bildnachweis: Der Ruheraum der KJPP Cham (Sabine Kies)