„Kinder denken, fühlen, erkranken anders“

Regensburger Lehrstuhl für Kinder- und Jugendpsychiatrie feiert sein 5-Jähriges Bestehen und blickt im Oktober 2023 im Rahmen eines Fachsymposiums auf die bisherigen Forschungs- und Lehrerfolge zurück.

Regensburg, den 19. Oktober 2023 Zahlreiche universitätsinterne Kooperationen, ein umfassendes nationales und internationales Forschungsnetzwerk und über 80 wissenschaftliche Veröffentlichungen: „Diese Bilanz kann sich sehen lassen“, bringt es der medizinische Direktor der medbo Prof. Thomas Baghai auf den Punkt. Seit fünf Jahren kooperieren medbo und Universität Regensburg nun bereits im Fachbereich Kinder- und Jugendpsychiatrie. Anlässlich der Lehrstuhlgründung vor 5 Jahren lud die medbo diese Woche (19.10.2023) zum Fachsymposium. Rund 250 Gäste kamen ans Bezirksklinikum Regensburg – allesamt Vertreter aus dem kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungsnetzwerk, um sich zu aktuellen Forschungserkenntnissen, neuen Behandlungsansätzen und Erfahrungen auszutauschen.

Hand in Hand: Forschung, Lehre & Versorgung
„Kinder und Jugendliche denken und fühlen nicht nur anders als Erwachsene, sie erkranken auch anders – je nach Entwicklungsphase, Umfeld oder psychosozialen Belastungen“, sagt Prof. Dr. Romuald Brunner, „und mit diesen speziellen Anforderungen im Blick, ist die Kinder- und Jugendpsychiatrie als starker Forschungs- und Versorgungsbereich heute gefragter denn je.“ Mit Gründung des Lehrstuhls ist er seit 2018 nicht nur Lehrstuhlinhaber, sondern auch Ärztlicher Direktor der medbo Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie & Psychotherapie (KJPP) am Bezirksklinikum Regensburg. Diese Doppelfunktion kommt nicht von ungefähr, denn die Leitfrage des Lehrstuhls ist klar: Wie kann die Patientenversorgung verbessert werden? Forschung, Lehre und Versorgung eng verzahnt: „Dieses Konzept funktioniert“, betont Prof. Thomas Baghai, „damit bringen wir einzigartige Impulse aus wissenschaftlichen Erkenntnissen direkt in unsere Kliniken und damit zu unseren Patienten.“ So könne das medbo Versorgungsangebot noch schneller und zielgerichteter an die Bedarfe der jungen Bevölkerung angepasst werden.

Studie hilft Post-COVID-Kids
Beispielsweise durch die Beteiligung an der interdisziplinären Post-COVID-Kids-Ambulanz, das als Forschungsprojekt vom Bayerischen  Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert wird. „Viele Kinder- und Jugendliche haben auch heute noch mit den besonderen Nachwirkungen einer Corona-Infektion zu kämpfen“, berichtet Prof. Brunner. Die Symptome reichen von Müdigkeit und Erschöpfung über Konzentrationsprobleme bis hin zu Depressionen oder Angststörungen. Mehr als 100 Kinder wurden im Rahmen der Studie bereits untersucht – pädiatrisch von Seiten der Klinik St. Hedwig und psychiatrisch von Fachärztinnen und Fachärzten der medbo KJPP. „Es geht darum Klarheit schaffen, wie sich diese Folgeerkrankung speziell bei Kindern und Jugendlichen entwickelt und vor allem: Wie sie behandelt werden kann“, sagt Prof. Brunner. Dazu wurde eine spezielle standardisierte Diagnostik entwickelt: Beispielsweise durch Selbst- und Fremdbeurteilungsfragebögen oder eine sogenannte neuropsychologische Testbatterie – einer Auswahl an verschiedenen Aufgaben, die in Einzelsitzungen durchgeführt werden und Erkenntnisse zu kognitiven Funktionen geben. Zwar sei jeder Fall sehr individuell, „wir haben aber bei vielen Patienten schon nach wenigen Monaten gute Erfolge im Rahmen der ambulanten psychiatrischen Betreuung erzielt.“

2022: Über 4.000 junge Patienten bei der medbo
Eine starke Versorgung, die sich an aktuelle Herausforderungen orientiert und neue Behandlungsmethoden hervorbringt ist heute wichtiger denn je. Erst vor kurzem hat das statistische Bundesamt eine erschreckende Zahl veröffentlicht: Im Jahr 2021 begründeten sich 19 Prozent aller stationären Krankenhausaufenthalte bei Kinder- und Jugendlichen in einer psychischen Erkrankung oder Verhaltensstörung. Depressionen stehen dabei an Platz 1 im traurigen Ranking der häufigsten Diagnosen. Das macht sich auch in der Oberpfalz bemerkbar: 2022 wurden an der medbo KJPP in Regensburg, Amberg, Cham und Weiden insgesamt mehr als 4.000 Kinder und Jugendliche behandelt. Auch hier sind Depressionen die häufigste Diagnose, gefolgt von Angsterkrankungen, Störungen des Sozialverhaltens, Belastungsstörungen und Essstörungen, insbesondere der Magersucht.

Lehrstuhl unterstützt Facharzt-Gewinnung
In Anbetracht des Versorgungsbedarfs kommt den behandelnden Fachkräften eine besondere Rolle zuteil. Zur Ausbildung und Gewinnung von Nachwuchs-Medizinern leistet der Lehrstuhl einen wesentlichen Beitrag: „Das Interesse der Medizin-Studierenden ist seit Tag 1 enorm“, berichtet Prof. Brunner. „Wir haben regelmäßig eine Vielzahl an Anmeldungen für Doktorarbeiten, aktuell werden zehn von uns betreut.“ Mehrere Ärzte konnten bereits für die medbo Klinik aus den Nachwuchs-Reihen gewonnen werden.

Beeindruckende Leistung
„Mit 5 Jahren ist der Lehrstuhl zwar noch vergleichsweise jung, die Erfolge sind dabei aber umso beeindruckender“, betont Baghai. Man dürfe nicht vergessen: „2018 musste die geeignete Forschungsinfrastruktur überhaupt erst geschaffen werden. Es galt Lehrstuhl-Mitarbeitende einzustellen, Studien zu initiieren oder die benötigte technische Ausstattung zu beschaffen. „Prof. Brunner, sein Team und seine Studierenden haben einen wichtigen Weg sinnbildlich mitgepflastert: Einen Weg, der die noch tiefere Verankerung der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der medizinischen Lehre zum Ziel hat“, lobt Thomas Baghai das Engagement.

Mit diesen Worten viel der offizielle Startschuss zu den insgesamt neun Fachvorträgen zu aktuellen Erkenntnissen aus der Forschung zu Krankheitsbildern wie Angststörungen, Depressionen, Magersucht (Anorexia nervosa) genauso wie selbstschädigenden Verhalten. Am Rednerpult fanden sich neben den medbo-Experten Prof. Brunner oder der Oberärztin Dr. Stephanie Kandsberger auch zahlreiche weitere Vertreter aus dem KJPP-Forschungsnetzwerk. Zum Beispiel Prof. Dirk Hellwig, der Dekan der Medizinischen Fakultät der Universität Regensburg. Auch Prof. Dr. Marcel Romanos, der Ärztliche Direktor der Klinik für KJPP am Uniklinikum Würzburg und Präsident der deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie (DGKJP), sprach im Rahmen des Symposiums. Genauso wie Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski. Er ist Ärztlicher Direktor an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, sowie stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Im Laufe der Zeit:
Die Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Oberpfalz

  • 1993
    wird die erste Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Oberpfalz eröffnet. Anfang mit einer Station kommen ein Jahr später 28 weitere stationäre Betten und acht tagesklinische Plätze hinzu. Außerdem werden Kinder jetzt auch in der Schule für Kranke beschult.
  • 1998
    wird die erste, dezentrale KJP-Ambulanz in Weiden eröffnet.
  • 2006
    eröffnet die KJP-Ambulanz in Cham – ein Jahr darauf gleich nebenan die KJP-Tagesklinik.
  • 2009
    folgt die Eröffnung der KJP-Ambulanz in Amberg, die vier Jahre (2013) in die neugebaute KJP-Tagesklinik angegliedert wird.
  • 2017
    wird in Regensburg ein Klinikneubau bezogen – durch die erweiterten und modernen Räumlichkeiten können Versorgungskapazitäten weiter ausgebaut werden.
  • 2018
    medbo und Universität Regensburg kooperieren erneut und gründen bereits zum dritten Mal einen Lehrstuhl. Prof. Romuald Brunner wird Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie und ärztlicher Direktor an der medbo KJPP.
  • 2022
    erfolgt der Spatenstich für den einer neuen medbo Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) in Weiden mit stationärem, teilstationärem und ambulantem Versorgungsangebot.
  • 2023
    kann auf 30 Jahre kinder- und jugendpsychiatrische Versorgung und 5 Jahre wissenschaftliche Arbeit zurückgeblickt werden.