Regensburg, den 16.10.2025 Am 10. Oktober, dem Welttag der Seelischen Gesundheit, hatte Thomas Hammer, Sprecher der PSAG Oberpfalz, alle regionalen PSAGen der Landkreise und kreisfreien Städte und weitere Experten eingeladen, um sich zwei Fragen zu widmen: Was haben wir seit Vorlage des großen Lageberichts zur Psychiatrie in Deutschland 1975 erreicht und worin bestehen die Herausforderungen für die Zukunft?
Franz Löffler, Präsident des Bayerischen Bezirketags (BayBT) und des Bezirks Oberpfalz, wurde in seinem Grußwort ganz persönlich: „In meinem Heimatort gab es in den 1960er Jahren einen psychisch schwerkranken Menschen. Seine Erkrankung hat das ganze Dorf geprägt. Was hat der? Was macht er den ganzen Tag? Ist der gefährlich? – Das haben sich die Leute gefragt. Es war bedrückend“. Später als Bezirksrat und dann als Bezirkstagspräsident habe er sich mit Psychiatrie eingehend beschäftigt: „Die Medizin zu den Menschen bringen, niederschwellig, inklusiv – das ist eine der Kernaufgaben des Bezirks.“ An den Gastgeber des Fachtags, die PSAG Oberpfalz, richtete Löffler die Aufforderung im Hinblick auf die Diskussionsforen des Fachtags die Aufforderung: „Bitte berichten Sie mir!“.
Die Forderungen der Enquête
Mit dem Bericht der Psychiatrie-Enquête des Deutschen Bundestags 1975 habe eine umfassende Reform der psychiatrischen Versorgungslandschaft ihren Lauf genommen, erläuterte Celia Wenk-Wolff, Referatsleiterin Gesundheit und Psychiatrie des BayBT.
Die Enquête stellte erstmals den hohen Bedarf an psychiatrischer Versorgung fest. Jeder dritte Bundesbürger sei wenigstens einmal im Leben von einer psychiatrischen Erkrankung betroffen. Gleichzeitig seien die damals vorherrschenden zentralen Großanstalten personell unterbesetzt, überbelegt und unterfinanziert. Die Versorgung sei unzulänglich und menschenunwürdig. Die Kommission empfahl gemeindenahe, vielgliedrige und vor allem an die lokalen Bedarfe angepasste psychiatrische Versorgung unter dem Stichwort „ambulant vor stationär“. Auch die Notwendigkeit zur umfassenden Professionalisierung der versorgenden Berufe und der Aufbau von komplementären Angeboten wurden durch die Enquête formuliert.
Und die Oberpfalz?
Dr. Benedikt Schreiner, Direktor der Bezirksverwaltung Oberpfalz, und Prof. Dr. Berthold Langguth, Chefarzt der Psychiatrischen Institutsambulanz und Tageskliniken am Bezirksklinikum Regensburg, beschrieben ihrerseits den Status quo der psychosozialen und der psychiatrischen Versorgungslandschaft Oberpfalz.
„Heute sind die Empfehlungen der Enquête im Wesentlichen umgesetzt. Mehr noch: Der Erste Bayerische Psychiatrieplan von 1979 hat nicht nur Psychiatrie-Grundsätze festgeschrieben, sondern evaluiert die Umsetzung im Freistaat durch regelmäßige Psychiatrieberichte.“, so Dr. Schreiner. Die Oberpfälzer psychosoziale Versorgung ruhe 2025 auf vielen dezentralen Schultern: Acht Sozialpsychiatrische Dienste (SpDI), neun Suchtberatungsstellen unter verschiedener Trägerschaft, der Krisendienst Oberpfalz und Beratungsangebote zu Spezialthemen wie Gerontopsychiatrie seien Beispiele. Nicht zu vergessen die PSAGen und Steuerungsverbünde, die die regionalen Bedarfe ermitteln und überwachen. Der Bezirk als hauptsächlicher Träger der stationären psychiatrischen Versorgung sei über seine Medizinischen Einrichtungen heute an acht Orten in der Oberpfalz präsent. Patienten- und Angehörigenorganisationen seien eng in die strukturellen Diskussionen eingebunden.
Aber die Herausforderungen für die Zukunft seien nicht zu leugnen, so Dr. Schreiner: Der Fachkräftemangel bei enorm steigenden Patientenzahlen; die Engpässe vor allem bei angepassten Wohnformen für psychisch kranke Menschen; Arbeitslosigkeit der Betroffenen; der steigende Anteil alternder Menschen mit schweren Behinderungen; nicht zuletzt: herausforderndes Verhalten bei Patienten.
Treten wir auf der Stelle?
Genau diese Themen griff Prof. Langguth auf. „Unsere Stationen laufen über – die Wartelisten sind ellenlang. Das heutige Hilfesystem ist zwar niederschwellig und vielfältig, aber auch komplex und unübersichtlich“, sagt der Chefarzt. „Wenn wir einen Patienten aus der Klinik abverlegen möchten, wissen wir oft nicht wohin – vor allem bei schwierigen Patienten“.
Die Gründe? Unsere Gesellschaft wird, so Berthold Langguth, komplexer. Gleichzeitig zerfalle der Zusammenhalt. „Die Menschen erleben immer weniger Selbstwirksamkeit – normale Lebenskrisen bewältigen sie zunehmend schlechter.“ Hinzu käme seit einigen Jahren das auf Basis eines Gerichtsurteils festgestellte „Recht auf Kranksein“: „Damit entfällt für uns Ärzte gerade bei akuten Fällen das Mittel der zwangsweisen Medikation. Folge: Wir können oft erst sehr spät mit der Therapie beginnen. Aber in der Medizin ist schnelles Handeln ein wesentlicher Erfolgsfaktor.“ Viele Patienten blieben auf diese Weise oft im Hilfesystem gefangen. „Dem gegenüber steht aber wiederum das erhöhte Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft, das eher wieder Verwahrung schwieriger Patienten fordert.“, ergänzt der Psychiater.
Prof. Langguth sprach sich als Leitmotive einer psychiatrischen Versorgung der Zukunft vor allem für Maßnahmen zur Resilienzstärkung und Prävention in der Gesellschaft aus. „Jeder sollte in der Lage sein, Signale einer psychischen Erkrankung bei sich und anderen zu erkennen und entsprechend konstruktiv zu handeln.“
Text: medbo KU / R. Neuhierl
Fotografien: medbo KU / K. Tenberge-Holzer
Bereits 1964 hatte die Frankfurter Allgemeine Zeitung getitelt: „Weltweite Revolution im psychiatrischen Krankenhauswesen – ohne Deutschland“. Die Ideologie der NS-Zeit wirkte auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs noch lange nach in den großen Heil- und Pflegeanstalten, die eher Verwahranstalten denn Krankenhäusern glichen: dramatische Überbelegung, keine Privatsphäre für die Patienten, kaum therapeutische Ansätze, fehlende Patientenrechte. 1970 beschäftigte sich der Deutsche Ärztetag selbst erstmals in seiner Geschichte mit dem Thema Psychiatrie.
Nach fünf Jahren Recherche im Auftrag des Deutschen Bundestags legte eine 200-köpfige Sachverständigenkommission 1975 einen über 400 Seiten starken Bericht zur Lage der Psychiatrie vor – mit Anhängen waren es sogar über 1.000 Seiten. Die Hauptaussage des Berichts damals: Die Zustände waren menschenunwürdig. Über ein Drittel der Patienten lebten länger als zehn Jahre in den Anstalten; im Schnitt stünde ein Arzt für 66 Betten, eine Pflegekraft für fünf Patienten zur Verfügung.