Egal ob eine Schlafstörung Problem oder Symptom einer psychischen Erkrankung ist: können Patientinnen und Patienten nicht richtig ein- oder durchschlafen, ist das eine Herausforderung besonders für die nächtliche Pflege. Ein Gespräch mit Überleitungspflegerin Bettina Häupl-Koch und Fachpfleger Alexander Schuller an der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Bezirksklinikum Wöllershof.
Sie arbeiten mit psychisch kranken älteren Menschen. Gerade bei Demenz-Patient:innen kennt man das Phänomen der Ruhelosigkeit, die auch nachts keine Pause macht.
H.-K.: Ja, manche unserer Patient:innen laufen den ganzen Tag – bis zu 40 km! Eigentlich müssten sie abends müde ins Bett fallen – und dann laufen sie nachts trotzdem weiter. Aber bei Ruhelosigkeit und abweichendem Schlafverhalten muss man genau hinschauen: Ältere Menschen brauchen meist einfach weniger Schlaf. Stellen wir bei unseren Patienten aber einen gestörten Schlaf fest, fragen wir uns schon: Ist das eine behandlungsbedürftige Erkrankung oder ist es Teil des psychischen oder eines eher somatischen Störungsbildes. Hier auf Station haben wir die Möglichkeit einer schlafdiagnostischen Abklärung am Patientenbett.
Ein Mini-Schlaflabor?
H.-K.: So könnte man es sagen. Der Patient wird über einen längeren Zeitraum, vor allem über Nacht, verkabelt und wir zeichnen Atmung, Hirn-, Muskel- und Herztätigkeit sowie die Sauerstoffsättigung im Blut auf. Danach können wir sagen: Ist das eine „normale“ Schlafstörung mit Einschlaf- oder Durchschlafproblemen oder Symptom eines Burnout, einer richtigen affektiven oder wahnhaften Störung oder einer Insomnie.
Sie untersuchen also zuerst: Ist die Schlafstörung das Problem oder ist sie Teil des Problems ...
Sch.: Genau! Fast die Hälfte unserer Patient:innen klagt über Schlafstörungen. Manchmal gibt es ganz banale Gründe. Ein Beispiel: Hat jemand häufigen Harndrang, wird er zwangsläufig nachts häufig wach, bringt das aber morgens nicht in Zusammenhang mit seiner Müdigkeit. Hier ist der gestörte Schlaf Folge eines somatischen Problems und wir schauen uns den Flüssigkeitshaushalt, die Harnwege und das Trinkverhalten an. Bei psychischen Ursachen gibt es andere Symptome. Meistens bekommen wir schon bei der stationären Aufnahme von den Patient:innen oder deren Angehörigen erste Hinweise. Dann haken wir nach.
Was für Hinweise wären das denn?
H.-K.: Das sind erstmal ganz alltägliche Dinge: Nickt er oder sie in monotonen Situationen kurz ein, ist unkonzentriert oder hat Erinnerungslücken, weist dies auf möglichen dauerhaften Stress hin. Wir fragen so Sachen wie, ob die Person die alltäglichen Anforderungen noch selbst bewältigen kann, ob ihre Gedanken ständig um etwas Bestimmtes kreisen und ob sie sogar Angst vorm Einschlafen hat. Uns interessieren die Medikamente, die ein Mensch nimmt. Häufig ist der Medikamentencocktail, den die alten Menschen einnehmen, alles andere als harmonisch. Ja, und wichtig ist auch, ob der Mensch vielleicht öfter gereizt ist oder Stimmungsschwankungen hat. Danach leiten wir die therapeutischen Maßnahmen ab.
Sch.: Therapeutisch wird auf jeden Fall versucht, eine solide Tagesstruktur mit festen Ritualen und Terminen aufzubauen. Das ist superwichtig und hier arbeiten Tag- und Nachtschicht Hand in Hand. Von festen Essenszeiten, über regelmäßige Bewegung bis zum Zähneputzen am Abend. Wir haben auch gute Erfahrung mit dem gemeinschaftlichen Schlummertrunk nach dem Abendessen gemacht: Da gibt es auf Wunsch ein Glaserl alkoholfreies Bier. Das kommt gut an!
Therapien sind das eine. Aber wie geht man als Pflegekraft in der Nachtschicht mit den ruhelosen Patienten um? Haben Sie Tipps?
Sch.: Es gibt viele Dinge, die man nachts im „Ernstfall“ ausprobieren kann. Und je länger ich jemanden kenne, je mehr ich über seine Geschichte, seine Gewohnheiten und seinen Alltag weiß, umso besser kann ich helfen. Einen Bäcker, der sein Lebtag nachts um Zwei aufgestanden ist, kriege ich nicht wieder ins Bett. Aber hat jemand Angst vor der Dunkelheit, dann hilft vielleicht ein Nachtlicht oder sanfte Musik. Oder hatte eine Patientin immer Haustiere, ist manchmal ein Kuscheltier tröstlich. Etwas Beschäftigung hilft oft gegen das quälende Gedankenkarussell. Ein bisserl Plaudern, die eine oder andere Entspannungsübung, ein paar Schritte auf dem Stationsflur – manchmal hilft das schon und macht die Ruhelosen müde.
Das sind ja eigentlich alles Tipps, die auch für pflegende Angehörige wertvoll sind …
H.-K.: Richtig. Bei der Überleitung von der Klinik nachhause raten wir Angehörigen zuallererst sehr zu „Schlafhygiene“. Das sind so einfache Dinge wie ein Verdunkelungsrollo, wenn es im Schlafzimmer ansonsten zu hell ist. Das Glas Wasser auf dem Nachttisch oder der Keks gegen den kleinen Hunger gehören ebenso dazu, wie ein barrierefreier Weg zum Badezimmer. Logisch ist auch, dass schweres und spätes Essen vor dem Zubettgehen nicht sinnvoll ist. Nicht zu vergessen: Tagsüber sollte sich der ältere Mensch nicht hinlegen, sondern eher viel bewegen.
Sch.: Ich selber höre aber auch viel auf meine Intuition. Ich habe Patient:innen sogar schon Schlaflieder gesungen – Demenzpatienten nehmen das gut an. Nicht überzeugen oder lang argumentieren, dass es um drei Uhr morgens im Bett echt gemütlicher wäre. Zuhören, reden lassen, mit Wertschätzung auf sie eingehen: Diese Menschen leben in einer anderen Realität. Und wenn sie laufen wollen: Laufen lassen – solange sie andere nicht aufwecken oder die Gefahr besteht, dass sie mitten in der Nacht ausbüxen oder sich wehtun.
Intuition und Wertschätzung – wie kann man sich das vorstellen?
Sch.: Biographiearbeit ist hier der therapeutische Schlüssel. In der Gerontopsychiatrie haben wir es mit Menschen zu tun, die den weitaus größten Teil ihres Lebens hinter sich haben. Da kommen Ängste und Sorgen auf, gerade in der Nacht: Angst vor Krankheit, Schmerz und dem eigenen Sterben; die Sorge, im Leben versagt zu haben oder etwas nicht zu Ende bringen zu können. Bei dementen Menschen, die ja oft eine retrograde Entwicklung durchmachen, hilft jede Information über das vergangene Leben. Am besten erzählen uns die Angehörigen alles, was sie wissen. Der 80-Jährigen, die mitten in der Nacht ihre Kinder von der Schule holen will, drücke ich dann vielleicht einen Teddy in den Arm. Und dem Senior, der Dunkelheit nicht erträgt, weil er im Krieg im Bombenkeller saß, halte ich die Hand oder decke ihn wie ein Kind ganz fest mit einem weichen Laken zu. Das vermittelt Geborgenheit.
Und bei depressiven Patient:innen?
H.-K.: Diese Menschen sind oft einsam. Das ist ganz typisch: Der Umkreis ist verstorben, die Kinder leben weit weg. Da drehen sich die Gedanken nachts förmlich im Kreis und die Patient:innen geraten in eine emotionale Abwärtsspirale. Hinzu kommt die Sorge, dass man ja „in Wöllershof“ ist. Bei vielen heißt das nach wie vor, dass man „irr“ ist. Sie schämen sich und fürchten sich vor der Rückkehr nachhause – was werden die Nachbarn sagen und so. Hier ist wichtig, den Patient:innen immer wieder zu erklären, was für eine Erkrankung sie haben.
Vielen Dank für die Infos an Sie beide!
Menschen durchlaufen im Schlaf bis zu fünf Zyklen, die jeweils zwischen 80 und 120 Minuten dauern. Von der Einschlafphase gleitet man in einen Dämmerzustand. Die Muskulatur entspannt sich und die Gehirntätigkeit nimmt ab. In verstärktem Maße passiert dies in der zweiten Phase.
In der dritten und vierten Phase liegen wir im Tiefschlaf. Dieser dauert etwa 20 Minuten und geht unbemerkt für den Schläfer in leichteren Schlaf über.
Ihm folgt der REM-Schlaf, so benannt nach den typischen schnellen Augenbewegungen (Rapid Eye Movement). Hier träumen wir auch am intensivsten.
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