Die meisten Menschen können mit dem Begriff der chronischen Erkrankung noch etwas anfangen. Aber was meint eigentlich „akut“ und was bedeutet „rezidivierend“? Eine kleine Begriffskunde rund um Zeit, Phasen und Abschnitte in der Therapie depressiver Erkrankungen.
Für die behandelnden Ärzte ist es wichtig zu wissen, mit welchem Status einer Erkrankung sie es bei einem Patienten zu tun haben, weil davon nicht zuletzt die Entscheidung über therapeutische Maßnahmen abhängt. Bei depressiven Erkrankungen unterscheiden Psychiater und Psychotherapeuten drei große Phasen: Akuttherapie, Erhaltungstherapie und Rückfallprophylaxe.
Die Akuttherapie steht am Anfang eines Behandlungsverlaufs. Ihr Beginn markiert den Zeitpunkt, zu dem ein Patient beim Arzt erstmals bezüglich seiner spezifischen Beschwerden vorspricht. Hier beginnt die systematische Erfassung von Erkrankungssymptomen, die Stellung einer möglichen Diagnose (immer auch in Abgrenzung von anderen möglichen Erkrankungen) und die Ableitung erster therapeutischer Maßnahmen. Ist die Diagnose „Depression“ gesichert, versucht der Arzt zu bemessen, wie groß die Abweichung zwischen „gesund“ und „krank“ ist, und was die Ursachen für die Abweichung sein könnten.
Auf der Suche nach der richtigen Diagnose und bei dem Versuch, die Schwere der Erkrankungen zu ermitteln, erstellt der Mediziner eine sogenannte Anamnese. Das ist die systematische Sammlung und Überprüfung aller Informationen zum Befinden des Patienten. Zum Teil geschieht die Anamnese regelhaft auf Basis eines persönlichen Gesprächs mit dem Patienten und gegebenenfalls mit seinem nahen Umfeld, zum Teil werden auch Frage-Inventare und CheckListen genutzt. Die Anamnese wird von weiteren diagnostischen Maßnahmen flankiert und ergänzt. Das sind zum Beispiel eine umfassende körperliche Untersuchung, technische Verfahren wie Bildgebung, labortechnische Untersuchungen etwa des Blutes oder des Nervenwassers, aber auch neuropsychologische Testungen.
Ziel der Akuttherapiephase ist neben der Stellung einer Diagnose die initiale Therapie der Erkrankung. Folgende wesentliche Aspekte stehen hier im Zentrum der medizinischen Intervention: die Sicherheit und Verträglichkeit der Medikation für den Patienten und die Wirksamkeit, also das Ansprechen des Patienten auf die klinische Therapie. Gleichzeitig wird über die Art und die Zeitplanung psychotherapeutischer Interventionen sowie begleitender Therapiemaßnahmen wie etwa Sport- und Ergotherapie entschieden.
Natürlich ist es wünschenswert, dass so früh wie möglich eine wirksame Therapie für den Patienten gefunden wird und er zügig auf die Therapie anspricht, um baldmöglichst die sogenannte Remission zu erreichen. In der Remission hat der Gesundheitszustand des Patienten wieder einen normalen Level erlangt. Und dieser Level soll im weiteren Therapieverlauf gehalten werden.
Die Frage der Dauer des Therapieverlaufs ist der Frage nach der Therapie-Effektivität nachgeordnet. In aller Regel muss man auf ein Ansprechen zwei bis vier Wochen, auf die vollständige Remission meist zwei bis drei Monate warten. Danach schließt sich eine Stabilisierungsphase an. Damit dauert die Akutphase einer ausreichend behandelten depressiven Erkrankung zwischen drei und sechs Monaten. In Einzelfällen gibt es durchaus auch Verläufe, bei denen der Patient auf die Akuttherapie so gut anspricht, dass die Heilung bis zur Remission schneller und auch ohne Schwankungen verläuft. Auch Spontanverläufe, also eine Verbesserung des Gesundheitszustands des Patienten ohne spezifische Therapie, sind möglich. Ein Abwarten ohne Therapie ist aber trotzdem nicht zu empfehlen, da sich dadurch das Risiko einer Chronifizierung der Erkrankung erhöhen würde.
Die Akuttherapiephase der Behandlung geht nahtlos in die sogenannte Erhaltungstherapiephase über. Hier geht es um die Stabilisierung der Gesundheit des Patienten, bis er als dauerhaft gesund diagnostiziert wird. Dann wäre die Erhaltungsphase abgeschlossen und der Patient wird entlassen.
Die medizinischen Leitlinien gehen davon aus, dass während der Erhaltungsphase mit den gleichen Medikamenten und bei gleicher Dosierung weiterbehandelt wird. Lediglich Verträglichkeitsprobleme können dazu führen, dass die Dosierung variiert und angepasst werden muss. Kommt es in der Erhaltungstherapie allerdings zu einem Rückfall, beginnt eine neue Akuttherapiephase: Suche nach den Ursachen, Einbeziehung der Informationen in die Diagnose und Anpassung der Therapie. Die Erhaltungstherapiephase bei der Behandlung von Depressionen dauert nach einer ersten Krankheitsphase aller Erfahrung nach meist zwischen sechs und zwölf Monate.
Die bei weitem meisten Patienten erkranken einmal an einer Depression, werden nach der Erhaltungstherapie gesund entlassen und leiden nie mehr an der Krankheit. Doch gibt es bei Depressionen auch den Fall der rezidivierenden, das heißt der wiederkehrenden, und der chronischen, das heißt der dauerhaften Erkrankung.
Chronisch bedeutet, dass die Erkrankung bei häufig wechselnder Intensität ohne Unterbrechung dauerhaft fortbestehen bleibt und behandelt werden muss. Rezidivierend bedeutet, dass nach einer erhaltungstherapeutischen Phase durchaus wieder die vollständige Gesundung eintritt, der Patient auch über manchmal sehr lange Zeiträume – teilweise Jahre – beschwerdefrei bleibt, es aber dann zu einer Wiedererkrankung kommt. Dieser Verlauf kann sich wiederholen. Bei diesen Patienten ist es wichtig, in der Zeit zwischen akuten Wiedererkrankungen (Krisen) rückfallprophylaktisch zu behandeln – in Ausnahmefällen auch bis ans Lebensende.
Quelle: Kupfer, The pharmacological management of depression, Dialogues in Clinical Neuroscience 7/2005