Es ist angerichtet!

Mein medbo Tag in der Großküche des Bezirksklinikums Regensburg.

Der größte Vorteil einer Frühschicht ist meiner Meinung nach, dass ich eine echte Chance habe, einen Frauenparkplatz direkt hinter der Haupteinfahrt des Regensburger Bezirksklinikums (BKR) zu ergattern. Um Viertel vor Sechs Uhr morgens parke ich ein. Von da aus sind es nur 100 Meter zum Personaleingang der hiesigen Großküche.

2013 war ich schon einmal im Einsatz in der Großküche. Oder besser: in der Vorgängerversion. Die Personalkantine war damals im inzwischen abgerissenen Personalwohnheim untergebracht, also in einem völlig anderen Gebäude als die Küche. Eng und stickig war es da … 2015 wurde dann der neue, hochmoderne Wirtschaftskomplex am BKR mit Großküche und Mitarbeiterrestaurant „medborante“ unter einem Dach in Betrieb genommen. Ich bin gespannt darauf!

06:00 Uhr. Seit einigen Jahren ist Sebastian Schellerer Küchenleiter. Jung, sportlich, energisch erlebe ich ihn bei der Begrüßung. Ohne Kochmütze, dafür mit schwarzem Käppi. Er hat meinen heutigen Tagesplan im Kopf: „Zuerst bekommen Sie Schuhe und Arbeitskleidung“. In der Wäscheausgabe erhalte ich einen Kasack und Arbeitshosen, Schellerer hat Arbeitsschuhe und – aha! – eine schwarze Schirmmütze für mich. 

06:30 Uhr. Ich bekomme erst mal eine Führung durch die Großküche. Alles ist nah beieinander, das Wegekonzept ist durchdacht. Und dennoch werde ich am Ende meiner Schicht wissen: Man läuft hier einen kleinen Marathon. „Für die Küche haben wir verschiedene Warenlager, auch Kühlräume für Obst und Gemüse, für Milchprodukte und natürlich für Fleisch und Fisch. Es gibt auch Lager für alles, was wir am aktuellen Tag in der Küche brauchen. Hier ist immer Bewegung“, erklärt Sebastian Schellerer mir. Die strikte Trennung der Lebensmittelgruppen sei nicht nur aus hygienischen Gründen wichtig, sondern auch aus diätetischen: „Um die Kontamination mit Allergenen zu vermeiden. Aber auch weltanschaulich bedingte Ernährungswünsche berücksichtigen wir“, sagt der Küchenchef.

Die Großküche ist in verschiedene Bereiche unterteilt: Gleich hinter dem Personaleingang sind Verwaltungsräume. Schellerers Büro, das der Diätassistentinnen und der Sozialraum etwa. Es gibt hier auch einen direkten Durchgang zur Küche. Den nehmen wir jetzt. Wir stehen in einem klassischen Kochbereich wie man ihn in jeder Küche findet – halt nur in „riesig“. Dahinter sehe ich elektrische Wärmewagen für den Transport zu den Stationen. „Dort geben wir das fertige Essen rein. Meist als ‚Schöpfsystem‘, aus denen vor Ort auf Teller portioniert wird“, so Schellerer. Der Fuhrpark holt die Wärmewägen ab und bringt sie wieder. Es sieht hier aus wie auf einem Güterbahnhof.

„Um die Ecke ist die Spülküche“. Sebastian Schellerer führt mich in einen Raum mit zwei großen Förderbändern, die aus riesigen, dampfenden Edelstahl-„Höhlen“ herauskommen. „Wenn das Mittagsgeschäft im medborante anläuft und die gebrauchten Geschirre von den Stationen angeliefert werden, dann geht es hier richtig rund!“, sagt er. Ich erinnere mich: In der alten Personalkantine wurden die Tabletts mit dem schmutzigen Geschirr von den Gästen in Regalwägen gestellt, die von Mitarbeitern dann den langen Weg in die Spülküche geschoben wurden. Im medborante gibt es heute ein Förderband, das direkt hierherläuft.

07:30 Uhr. Eine kurze Pause für das Team ist angesagt. Zehn Minuten im Sozialraum, eine schnelle Tasse Kaffee, ein kleines Frühstück, ein wenig in der Zeitung lesen – das ganze Team ist da und ich werde kurz vorgestellt.

Diätassistentin Monika Schiller nimmt mich mit. In ihrem Büro hat sie direkte Sicht auf den Küchenbetrieb. „Es gibt hier drei Aufgabenbereiche“, erklärt sie mir. „Ich vertrete heute auch die beiden Kolleginnen. Das kommt vor. Aber jede kennt hier jeden Bereich“, erzählt Schiller. Der erste Aufgabenbereich betrifft die Verarbeitung der Essensbestellungen aller Stationen, die Vorbereitung der Produktion, also Einkauf und Prüfung der Warenanlieferung.

Zweiter Bereich sind die hygienischen Kontrollen vor Ort in allen Küchenbereichen während der Produktion. Dazu gehört das regelmäßige Temperatur Messen (75 Grad Celsius müssen im Kern jeder Warmspeise erreicht werden) und die Entnahme von Proben von allen Gerichten. Diese werden 14 Tage aufgehoben. Dafür gibt es – na klar! – einen eigenen Kühlbereich. „Falls es auf einer Station zu einem Infektionsgeschehen kommt, werden gleich alle infrage kommenden Proben lebensmitteltechnisch untersucht“, sagt Monika Schiller. Sie prüft später auch jeden einzelnen Warmhaltewagen, ob da ja das Richtige und Bestellte für jede Station drin ist. 

Die dritte Aufgabe ist die Koordinierung von speziellen Ernährungsthemen und Diäten. Grob gesagt. Plus angewandte Ernährungsberatung vor Ort auf Station …

07:00 Uhr. Endlich! Ich darf jetzt mitarbeiten. An der Wand gleich neben dem Eingang zur Küche kleben Blätter mit allen heutigen Rezepturen. Eine Tagessuppe, angemischte Salate, vier Hauptspeisen (immer etwas Deftiges, etwas „Schlankes“ und etwas Veganes – plus Sondergericht), Gemüse und Beilagen, ein oder zwei Schöpfgerichte, Desserts … „Wir kochen jetzt nicht nur für das heutige Mittagsgeschäft. Wir bereiten auch schon das Abendessen vor. Danach machen wir die wichtigsten Komponenten für das Frühstück morgen fertig. An einem Freitag arbeiten wir auch noch für die Wochenendversorgung vor“, erklärt mir der Chefkoch. 

Sebastian Schellerer bringt mich zu Koch Willy Müller. Er ist heute für das vegane Mittagsgericht zuständig. Ein Gemüse-Curry. Was ich sofort bemerke: Es gibt hier keine Töpfe im eigentlichen Sinn, sondern große beheizbare Wannensysteme mit Ablasshähnen im unteren Bereich. Auf einem Rollwagen stehen noch etwa 20 Literpackungen Kokosmilch, die ich mit einem Messer öffnen und in den „Pott“ kippen soll. Gefolgt von mehreren Großpackungen mit frischem Asia- und heimischem Gemüse. Und Sprossen. „Das meiste Grünzeug kriegen wir frisch von Bauern aus dem Regensburger Umland. Gottseidank schon nach unseren Wünschen geschnippelt“, erklärt mir der Koch. Er gibt jetzt eine Currygewürzmischung mit einer Handschippe hinzu. Und Wasser – aber nicht aus einem Krug, sondern über eine Art „Gartenschlauch“. „Mit einem Haferl kommen wir hier nicht weit“ – er lacht. Dann muss ich das Ganze umrühren – Rühren ist irgendwie der falsche Begriff. Umschichten mit einer Schaufel trifft es eher. Willy Müller lacht wieder: „Ein bisserl schneller musst Du schon rühren“ – in der Küche duzt man sich und damit gehöre ich wohl zum Team. Er reicht mir einen kleinen Löffel und beide probieren wir das Curry. Dann beraten wir – noch ein bisserl Salz und ein 200-Gramm-Beutel Chiliflocken. Geht doch!

Hinter uns arbeitet sein Kollege Josef “Sepp” Hahn. In zwei schrankhohen Edelstahl-Backöfen schmoren 123 kg Schweinehals vor sich hin. „Ich brauch amal den Schlauch. Die Brat’l müssen übergossen werden.“ Er hält den Wasserschlauch in den Backofen. „Dös gibt a guade Soß“. Sagt’s und nimmt mich mit zur Arbeitsstation „Kümmelsoße“. Eine Badewanne voller Soße! Und in die Wanne hinein ragt der größte Pürierstab, den ich je gesehen habe. Sepp Hahn: „Dös is unser Elefant.“ Müller kippt den aufgefangenen Bratensud aus dem Backofen in die Wanne. Der „Elefant“ püriert die groben Stücke von Zwiebeln und Suppengemüse. Und den Kümmel.  „Kümmel ist wichtig. Aber viele beißen halt net gern drauf.“,  erkärt er mir.

08:00 Uhr. Der stellvertretende Küchenleiter Hans-Jürgen ‚Hansi‘ Weitzer braucht mich jetzt: „Wir machen Pizza!“. Das ist das heutige Sondermenü im medborante. Ich weiß, dass dort zwei Pizzaöfen stehen. Live-Cooking also! Wir gehen in einen Nebenraum mit einer meterlangen Edelstahlarbeitsplatte. Auf Servierwägen sind Teig-Rohlinge, eine riesige Menge „Sugo“ (gewürzte Tomatensoße) und verschiedenster Belag in Behältern vorbereitet: Zwiebeln, Schinken, Salami, geriebener Käse, Mozzarella, Champignons, Peperoni, Brokkoli, Paprikastreifen …

Hans Weitzer legt etwa 30 Rohlinge auf der Arbeitsfläche aus. „Jetzt nimmst Dir Gummihandschuh‘ und verstreichst einen Schöpfer Soß‘ bis so einen Finger breit vorm Rand“. Was jetzt kommt, ist irre. Ich verteile mit den Händen Sugo auf den Pizzen, Hans Weitzer streut italienische Kräuter darüber, ich belege mit einer ersten Komponente, er verteilt Käse, ich komme mit der zweiten Komponente, er mit einer dritten. Die Pizzen kommen auf Bleche, dann schiebt der Koch sie in die Zwischenkühlung. Ich kehre die Arbeitsfläche ab und verteile die nächste Lage Rohlinge. Insgesamt machen wir das etwa sieben Mal hintereinander. „Schau: Jetzt ist es 09:00 Uhr und wir Zwei haben so um die 200 Pizzen hergerichtet“. Hans freut sich. Ich mich auch. „Jetzt machst die Arbeitsfläche noch sauber und später im medborante backe ich die Pizza und Du gibst sie aus, ja?“. Logisch! Aber erst bekomme ich einen frischen Arbeitskasack aus dem Wäschekreisel: Der alte ist von oben bis unten voll mit Tomatensoße. Ich hätte mich geniert, wenn es anders gewesen wäre!

09:15 Uhr. Eigentlich würde ich jetzt gern Koch Willi beim Braten-Aufschneiden helfen. Aber der ist schon fertig konfektioniert und in Wärmewagen gepackt. „Der Braten und die Kümmelsoß‘ müssen ja bis 11:00 Uhr in Parsberg sein – und in den Verteilküchen auf allen Stationen. Alle Mittagessen für die Patienten müssen bis Zehn fertig sein für den Transport.“ Überhaupt: Der Kochbetrieb ist so gut wie durch. An manchen Stellen werden schon die Arbeitsflächen abgewischt und die Kochwannen gesäubert. 

An einigen Arbeitsplätzen konfektionieren die Küchenhilfen bereits für das Abendessen. Da wird Aufschnitt und Käse abgewogen, dort Gurkenstücke abgezählt. Diätassistentin Monika Schiller hat dazu endlose Schlangen von Klebeetiketten und ganze Stapel von Bestelllisten produziert. Koch Holger Schölzel holt mich zu den Desserts. Es erwarten mich drei Trolleys voll mit Marken-Fruchtjoghurt – jeweils 20 Becher in einer Trage. Daneben eine Rolle Etiketten. Auf jedem stehen Standort und Nummer einer Station mit einer Zahl. Wir haben verschiedene Tablettgrößen. Holger Schölzel erklärt mir, dass auf das große Tablett 25 Becher, auf das kleinste fünf passen. Ich soll die nötige Anzahl Becher auf die Tabletts packen und das Etikett so an den Tablettrand kleben, dass der Fuhrpark später sofort sieht, wohin er liefern muss. Die Arbeit ist überraschend anstrengend. Viel Bücken und Heben – und viel Verzählen auch.

Die leeren Joghurt-Kartons stapeln sich. Ich will sie entsorgen. Die Großküche hat verschiedene Container im Hof des Wirtschaftskomplexes: einen für Plastikmüll, einen für Restmüll und eine große Presse für Pappe. Sebastian Schellerer ist gerade in der Nähe und erklärt: „Wir vermeiden Müll, wo es nur geht. Und wir recyceln. Schlecht wird nichts bei uns. Übrig gebliebene Sachen aus der Küche und Komponenten, die im medborante nicht verbraucht werden, wandern gleich wieder in andere Gerichte. Da wird aus dem Beilagen-Reis vielleicht ein Reissalat.“ Und weiter: „Wir haben etwa 234 Kubikmeter Speiseabfälle im Jahr. Davon sind vielleicht täglich zwei oder drei Eimer voll aus der Küche – klassischer Abfall etwa vom Obst- und Gemüseschälen. Das meiste sind Überbestellungen der Stationen, die halt auch mal ein Gericht in Reserve halten. Deswegen versuchen wir, unsere Rezepturen und unser Angebot ständig anzupassen.“

11:00 Uhr. Hans Weitzer holt mich ins medborante. „Es geht gleich los mit dem Mittagsgeschäft. Heute kommen auch zwei Besuchergruppen – es wird voll!“. Er und sein Kollege Patrick Gerstner haben die Pizzaöfen schon befüllt. Ich lege die frisch gebackenen Pizzen unter der Wärmeglocke des Tresens aus. Ich werde auch darauf achten müssen, immer genügend Teller zum Anrichten zu haben. Und Rucola zum Garnieren. Und ich darf niemandem im Weg stehen, denn über den Gang hinter mir wird ständig etwas transportiert.

Anfangs läuft das Geschäft ruhig. Die Gäste schauen sich „meine“ Pizzen an, fragen, welche Sorten es gibt. „Gute Frage“, denke ich. Denn ich habe die Pizzen ab einem bestimmten Zeitpunkt eher anarchisch belegt … Auf jeden Fall ist für alle was dabei: Vegetarier und Fleischesser! Nur: Wann welche Pizzasorte fertig ist, das muss ich immer wieder mit den Köchen abstimmen. 

Gegen zwölf Uhr wird es dann richtig stressig. An meinem Tresen bilden sich Schlangen: mal warten die Vegetarier, mal die Fleischesser. Ich versuche, die verfügbaren Pizzen auch an der Warteschlange vorbei an willige Esser zu vermitteln. „Jetzt ist eine Diabolo mit Salami und Peperoni fertig – wer möchte die?“. Ab und zu will jemand seine Pizza mitnehmen. Dann packe ich sie in einen Karton. Das Stehen und die Hitze der Pizzaöfen sind anstrengend. Gegen 13:00 Uhr schickt mich Hans Weitzer zum Pause machen. Gottseidank!

13:30 Uhr. Nach meiner Mittagspause ist das gesamte Küchenteam schon so gut wie fertig mit Aufräumen. In der Küche sind alle Arbeitsflächen blitzeblank, die Böden gekehrt, Geschirr verstaut. Im medborante ist ein Großteil der Auslagen und Tresen abgeräumt. 

In der Spülküche wird noch Hilfe gebraucht. Ich komme an ein Spülband, aus dem immer noch eine Menge Teller, Tabletts und Besteck gerollt kommt. Dampfend heiß. Die Teile werden von Hand sortiert, manchmal mit einem Geschirrtuch nachgetrocknet und auf Rollwägen gestapelt. Jeder Rollwagen wird dann auch schnurstracks zu den Geschirrschränken im medborante und in die Großküche gefahren. Das ist megaanstrengend, denn es muss alles auch sehr schnell gehen

14:00 Uhr. Sebastian Schellerer holt mich aus der Spülküche. Die Köche und die Diätassistentin treffen sich im Sozialraum, um die heute verwendeten Rezepturen zu besprechen. Köchin Martina Römer hat die Rezepturblätter eingesammelt. Das Team geht jetzt Stück für Stück durch. Ist genügend Salz im Rezept vermerkt? Welche Stärke wurde zum Andicken verwendet? Wurden Dinge im Arbeitsprozess spontan angepasst und wenn ja, haben sie sich bewährt und sollten in die Rezeptur übernommen werden? Wie hat sich dieses oder jenes Lebensmittel verarbeiten lassen? Die Küche übernimmt diese Änderungen am nächsten Tag in die Datenbank.

14:30 Uhr. Schichtende. Ich ziehe mich um, werfe die Arbeitskleidung in den Wäscheabwurf bei der Wäscheausgabe und gebe die Arbeitsschuhe zurück an Sebastian Schellerer. Was für ein Tag! Wow. Jetzt bin ich heute zum zweiten Mal froh, dass mein Auto nur 100 Meter entfernt steht. Die schwarze Mütze habe ich noch auf. Der Küchenchef hat sie mir geschenkt – ich werde sie in Ehren halten!

Wer hätte das gedacht!

Zahlen, Daten und Fakten zur Großküche am Bezirksklinikum Regensburg:

  • Essen pro Mahlzeit pro Tag: etwa 1.500
  • Mitarbeitende (Köpfe): 56 in Regensburg, 5 in Parsberg, 7 im Café zweitesLEBEN am BKR
  • „Kassengänge“ mittags im medborante täglich etwa 450, zu Spitzenzeiten bis zu 1.000
  • 2.800 Rezepturen in der Datenbank
  • Etwa 24 Tonnen Kartoffeln pro Jahr