Synapse zwischen Neurologie und Psychologie

Mein medbo Tag in der Regensburger Neuropsychologie

Dr. Ralf Lürding und Dr. Susanne Schwab-Malek sind Neuropsychologen in der neurologischen Uniklinik am medbo Bezirksklinikum Regensburg. Einen ganzen Tag lang darf ich ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.

Jeder Arbeitstag in der Regensburger Neurologie beginnt mit der Besprechung der radiologischen Befunde vom Vortag oder vom Wochenende. Auch meine heutigen Mentoren, die Neuropsychologen Dr. Ralf Lürding und Dr. Susanne Schwab-Malek, nehmen an der Morgenbesprechung teil und haben mich gleich mitgenommen. Dort können sie die Befunde aus der Computertomographie und Magnetresonanztomographie mit Ergebnissen der neuropsychologischen Untersuchungen ihrer Patienten vergleichen.

Neurologie, Psychologie, Neuropsychologie

Neuropsychologen haben Psychologie studiert. Die Neuropsychologie ist quasi die Synapse zwischen Neurologie und Psychologie. Synapsen sind der Kontakt von einer Nervenzelle zur anderen. Neuropsychologie sucht wie die Neurologie nach einem Fokus, aber mit quantitativen psychologischen Verfahren. In der neuropsychologischen Untersuchung werden Leistungstests angewendet, die so ausgewählt werden, dass die wichtigsten Hirnregionen auf ihre Leistungsfähigkeit beziehungsweise krankheitsbedingte Defizite beurteilt werden können. Außerdem vergleichen sie die Leistungen der Patienten mit gesunden Gleichaltrigen und mit den übrigen Hirnregionen.

In der neurologischen Akutklinik ist bei den kurzen Aufenthaltszeiten der Patienten nur Zeit für eine umfangreiche Diagnostik. Therapien werden im Anschluss von den Kollegen in der Klinik für Neurologische Rehabilitation durchgeführt.

Entspannte Atmosphäre

Zunächst darf ich Dr. Lürding bei einer neuropsychologischen Untersuchung begleiten. Patient Martin T.* steht pünktlich um neun Uhr in Ralf Lürdings Büro. Sein Problem sind Aufmerksamkeitsstörungen, die ihn privat und beruflich sehr belasten. Neue Konstrollsysteme in der Arbeit setzen ihn noch mehr unter Druck und so verlor T. langsam aber sicher die Freude am Arbeiten und jede Motivation. Besonders wichtig ist es Dr. Lürding und seiner Kollegin Dr. Schwab-Malek, eine entspannte Untersuchungsatmosphäre zu schaffen, damit die Patienten sich öffnen können.

Informationsquelle Biographie

Besonders die Vorgeschichte des Patienten ist immens wichtig. Am liebsten ist es den Neuropsychologen, wenn sie so viele Infos wie möglich über die Biographie des Patienten erhalten. Ansonsten wird mit einem Fragebogen ein Rundumschlag durchs Leben geführt. Was macht der Patient beruflich? Welche Hobbys hat er? Steht er unter Stress? Hat er Geschwister? Lebt er alleine? „Wenn eine Moderatorin plötzlich unter Aphasie, also Wortfindungsstörungen leidet, ist das genauso alarmierend wie 
beim Hobbyschreiner, der plötzlich keine feinmotorischen Bewegungen mehr zustande bringt“, erläutert Dr. Lürding. 

Neuropsychologische Testung live

Die neuropsychologische Testung beginnt. Ralf Lürding befragt Martin T. erst einmal zu Beruf, Hobby und anderen alltäglichen Aufgaben. Mit Computerprogrammen in verschiedenen Variationen wird dann seine Reaktionszeit gemessen. Martin T. muss Geschichten nacherzählen oder Wörter mit verschiedenen Anfangsbuchstaben finden. Mit jedem weiteren Testverfahren wird eine andere Hirnregion beurteilt. Was im ersten Moment sehr einfach klingt, kann in einer Untersuchungssituation tatsächlich zur Herausforderung für den Patienten werden. Besonders wenn Patienten von vornherein vermuten, dass irgendetwas nicht so funktioniert, wie es sollte. 

Als Ergebnis wurde bei Patient T. eine deutliche Beeinträchtigung einfacher Aufmerksamkeitsleistungen bei besseren Leistungen in komplexen Anforderungen gefunden. Weil seine logischen Fähigkeiten funktionierten, konnte Dr. Lürding für Martin T. eine gute Prognose für Leistungsverbesserungen durch eine neuropsychologische Rehabilitation und Logopädie gestellt. Die weiteren Untersuchungen – man möchte ja noch die Ursachen dieser Reizlei(s)tungsverlangsamung herausfinden – können ambulant erfolgen.

So misst man Funktionen des Gehirns

Die neuropsychologische Diagnostik ist eine von drei Methoden, die Funktion eines Gehirns zu messen. Die beiden anderen Methoden sind EEG und PET:

  • Ein Elektroenzephalogramm (EEG) misst Unterschiede in der elektrischen Aktivität zwischen Hirnregionen. Eine Interpretation zu den Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit ist schwierig.
  • Die Positronen-Emissions-Tomographie (PET) kann mit radioaktiver Glukose Unterschiede im Traubenzuckerverbrauch zwischen bestimmten Hirnarealen feststellen. Der Patient wird einer begrenzten Strahlungsdosis ausgesetzt. 

Begleitung stationärer Patienten

Dann hole ich mit Dr. Schwab-Malek einen Patienten von der Station ab. Hans F.* leidet unter einer limbischen Enzephalitis, das heißt einer entzündlichen Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die sich vor allem durch Gedächtnisdefizite bemerkbar macht. Der Patient war bereits eine Woche zuvor bei Dr. Schwab-Malek zur Diagnostik. Erinnern kann er sich allerdings nicht daran, weder an die Untersucherin, noch die Testverfahren. Im Laufe der Untersuchung erkundigt er sich alle fünf Minuten nach unseren Namen – diese Informationen verschwinden ebenso sofort aus seinem Gedächtnis wie die Inhalte der Gedächtnisaufgabe, die er sich über eine Zeitspanne von einer halben Stunde merken soll. Dagegen sind die logischen Leistungen von Hans F. sehr gut. 

Frontallappen, Temporallappen und Co.

Das ist nicht verwunderlich, meint Susanne Schwab-Malek, da bei dieser Erkrankung vor allem der Temporallappen geschädigt sei. Und der ist nun mal für die Einspeicherung neuer Informationen im Gehirn zuständig. Andere Hirnregionen sind, so Schwab-Malek, von der limbischen Enzephalitis weniger betroffen, so dass es durchaus plausibel ist, dass wie im Fall von Patient F. die logischen Fähigkeiten intakt sind. Denn sie werden woanders, nämlich im Frontallappen, gesteuert. 

Mit dieser hirnanatomischen Zuordnung der Funktionseinschränkungen können die Neuropsychologen beurteilen, ob ein Ergebnisprofil zu einer bestimmten Erkrankung passt oder nicht. Bei Hans F. gab es eine deutliche Übereinstimmung mit den Befunden aus Kernspin und Liquorpunktion (Liquor heißt Nervenwasser, lerne ich) einerseits und den Beeinträchtigungen in der neuropsycholgischen Untersuchung andererseits. 

Und im Anschluss: neurologische Reha

Für Patient F. selber ist natürlich neben der richtigen medikamentösen Therapie entscheidend, ob die Gedächtnisstörung behandelbar ist und wie es mit ihm beruflich weitergehen soll. Für ihn wurde vom Sozialdienst der Klinik eine neurologische Rehabilitationsmaßnahme organisiert, um die Gedächtnisleistungen zu verbessern und eine genauere Abschätzung der beruflichen Prognose vornehmen zu können.

Neuropsychologie: Auch im Operationssaal

Neben den vielen Testungen von ambulanten und stationären Patienten arbeiten Dr. Susanne Schwab-Malek und Dr. Ralf Lürding auch an verschiedenen Studien sowie in der Diagnostik während Tumorentfernungen im Operationssaal (OP). Sie stellen dem Patienten auf dem OP-Tisch sprachliche oder motorische Aufgaben. Der operierende Arzt simuliert eine Gewebeentfernung (Resektion) durch eine elektrische Stimulation und erhält von den Neuropsychologen sofort die Rückmeldung, ob während dieser Stimulation ein Leistungsverlust auslösbar war. So weiß der Neurochirurg, an welcher Stelle der Hirnoberfläche eine Resektion ohne Funktionsbeeinträchtigungen möglich ist. 

Exakte Wissenschaft

„Wie im Flugzeug“, denke ich: Die Neuropsychologen haben für den Chirurgen dieselbe Aufgabe wie Bordinstrumente im Cockpit für den Piloten. Ohne sie ist er im Blindflug. „Psychologie hat oft mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass hier viel geredet wird. Wir Neuropsychologen sind der lebende Beweis, dass Psychologie auch eine Wissenschaft ist“, kommentieren Dr. Schwab-Malek und Dr. Lürding meinen Vergleich.

* Namen sind der Redaktion bekannt

Hinweis: Dieser Beitrag erschien erstmals im medbo Unternehmensmagazin SYNAPSE im Jahr 2018.